Die Angst der Woche
Zigaretten pro Mann und Tag für die Soldaten der deutschen Wehrmacht zu.
In der amerikanischen Armee hingegen waren Zigaretten unbegrenzt und nahezu kostenlos zu haben.
Die Zigaretten ganz zu verbieten trauten sich auch die Nazis nicht. AuÃerdem benötigten sie die Einnahmen aus der Tabaksteuer. Aber die Gefahren und die Kosten des Tabakrauchens hatten sie als weltweit Erste klar erkannt. »Eine deutsche Frau raucht nicht« war einer ihrer Propagandasprüche, die Folgekosten des Tabakrauchens bezifferte man auf mehr als zwei Milliarden Reichsmark jährlich.
Im Ausland brauchte man für diese Einsichten erheblich länger. In der angelsächsisch geprägten wissenschaftlichen Literatur wird bis heute der englische Mediziner Richard Doll als Anti-Raucher-Pionier gefeiert; er hatte aber erst 1950 den Zusammenhang zwischen Tabakteer und Lungenkrebs erkannt; später durfte er sich für diese Entdeckung adeln lassen. Und nochmals weitere Jahrzehnte mussten vergehen, bis in einem Bericht der zuständigen amerikanischen Bundesbehörde aus dem Jahr 1964 dieser Befund erstmals offiziell verbreitet wurde; unter groÃem Protest der Tabakindustrie hatten Zigarettenpäckchen ab da Warnhinweise vor den Gefahren des Rauchens zu enthalten. Aber noch im Jahr 1994 fanden die Vorstandvorsitzenden der sieben gröÃten US-Tabakfirmen nichts AnstöÃiges dabei, diese Gefahren öffentlich zu bestreiten.
Heute traut sich das niemand mehr, die Epidemiologie hat die Tabakindustrie besiegt.
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Die Zeiten dieser Triumphe sind vorbei. Heute ist die Epidemiologie zu einem Selbstbedienungsladen für Panikmacher verkommen. Das ist nicht notwendig die Schuld der Epidemiologen; die mir bekannten Kollegen sind groÃteils sehr seriöse Wissenschaftler, die die Grenzen ihrer Forschung durchaus einzuschätzen wissen. Aber diese Wissenschaftler schreiben nicht die Pressemitteilungen, und da werden diese Grenzen in aller Regel ausgeblendet, nicht beachtet oder als schlagzeilenschädlich ignoriert.
Eine erste Grenze aller epidemiologischen Erkenntnisse ist das Fehlen geplanter Experimente. Das kann man mit Ratten oder Mäusen machen, aber nicht mit Menschen, zumindest wenn Gefahr für Leib und Leben droht. Ersatzweise greift man daher auf sogenannte Beobachtungsstudien, speziell Kohortenstudien zurück, die darin bestehen, dass man zwei Gruppen von Menschen vergleicht: Die eine war längere Zeit dem jeweils interessierenden Risiko ausgesetzt, die andere dagegen nicht. Und dann schaut man nach: Hat das Risiko gewirkt? Und wenn ja, wie? Haben Arbeitslose öfter Depressionen? Sind regelmäÃige Diskothekenbesucher häufiger hörgeschädigt? Haben Kettenraucher öfter Lungenkrebs? ⦠Und siehe da: Die Kettenraucher haben tatsächlich sehr viel häufiger Lungenkrebs. Ergo: Rauchen ist die Ursache für Krebs.
Für die Raucher stimmt das auch. Man muss aber kein ausgebildeter Statistiker sein, um die hier verborgenen Fallstricke zu sehen. Vielleicht finden Depressive schlechter einen Arbeitsplatz? Oder (zugegeben, etwas hergeholt) nur Menschen mit Hörschäden halten es in einer Disko aus? Ja selbst die unbestreitbare Kausalbeziehung zwischen Rauchen und Lungenkrebs ist nicht ganz so eindeutig, wie man immer glaubt. So werden Raucher auch viel öfter als Nichtraucher ermordet oder vom Bus überfahren. Und zwar aus dem gleichen Grund, warum sie gerne rauchen: Weil sie risikofreudigere Menschen sind. Diese sogenannten Raucherpersönlichkeiten würden auch dann ein bis zwei Jahre früher sterben als andere, hätten sie nie im Leben auch nur eine Zigarette angefasst. Die um rund zehn Jahre verkürzte Lebenserwartung von starken Rauchern ist also nicht zur Gänze dem Rauchen anzulasten.
Auch andere Risikofaktoren können Lungenkrebs erzeugen und sind daher für eine Nettoschuldzuweisung an das Rauchen herauszurechnen. Einer ist das radioaktive Edelgas Radon. Es kommt in der Natur im Boden und in Felsen vor, man sieht, riecht und schmeckt es nicht, besonders Bergleute sind hier stark gefährdet. Das Gleiche gilt für Asbest. Wird der in kleinen Partikeln eingeatmet, leiden die Zellen in den Lungenbläschen; Arbeiter mit starker Asbestbelastung erkranken drei- bis viermal häufiger an Lungenkrebs als Arbeiter, die nicht mit Asbest in Berührung kommen. Weitere Risikofaktoren sind Passivrauchen sowie die Luftverschmutzung. Die
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