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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
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Bauchfett, jedes Jahr sterben 60 000 Menschen durch Schiffsabgase, Katzen als Allergierisiko, Marathonläufer erkranken öfter an Krebs, krebserregende Stoffe im Urin, erhöhtes Krebsrisiko bei Fleisch- und Wurstessern, Mittelohrentzündungen durch Luftschadstoffe, schlechtere Schulleistungen durch Schnarchen, Straßenverkehr erhöht das Arteriosklerose-Risiko, Zickenterror macht krank. All diese Meldungen sind Produkte der Epidemiologie; sie zeigen querschnittartig, wozu diese Wissenschaft in der Lage ist und wozu man sie missbrauchen kann.
    Das Wort Epidemiologie kommt aus dem Griechischen: »demos« = Mensch/Bezirk und »logos« = Wort/Beschreibung; es meint die Ausbreitung von Krankheiten in menschlichen Teilgesellschaften aller Art und wie man sie erforscht: Haben Kinder von Akademikerfrauen öfter Keuchhusten? Leben Rotweintrinker länger als Biertrinker? Erkranken Deutsche häufiger an Magenkrebs als Eskimos? Gibt es mehr Demente oder Fußpilzkranke in der Nähe von Atomkraftwerken? … Nicht alle diese Fragen bewegen die Menschheit, aber einige Antworten haben unser Schicksal mitgeformt. In gewisser Weise darf sich die Epidemiologie sogar als die Mutter und der Motor der seit Jahrhunderten steigenden Lebenserwartung in westlichen Industrienationen feiern. Schon im frühen 18. Jahrhundert hatte etwa der Italiener Giovanni Maria Lancisi, Leibarzt des Papstes in Rom, den Rückgang der Malaria in Italien auf bessere Hygiene und das Austrocknen von Sümpfen zurückgeführt; ohne diese Erkenntnis – und die daraufhin verbesserte Hygiene – wären weiterhin Hunderttausende Italiener jährlich an Malaria gestorben. Ein weiterer großer Erfolg, zugleich auch die Geburtsstunde der Epidemiologie im engeren Sinn, war die Entdeckung der Ursache der Cholera. Die wütete gerade im London des Jahres 1854, als der Arzt John Snow auf die Idee verfiel, den Wohnort jedes seiner Cholerapatienten auf einer Karte Londons mit einem Kreuzchen festzuhalten. Und siehe da: Die Cholerafälle häuften sich in der Nähe eines bestimmten Brunnens. Unter Polizeigewalt ließ Snow diesen Brunnen sperren, und die Cholera brach ab. Damit waren Keime in verschmutztem Trinkwasser als Verursacher erkannt.
    Ein weiterer intuitiver früher Epidemiologe war der Arzt Ignaz Semmelweis. Er bemerkte – ebenfalls zur Mitte des 19. Jahrhunderts –, dass Mütter weniger oft an dem damals tödlichen Kindbettfieber starben, wenn der Arzt sich häufiger die Hände wusch. Es ist heute kaum zu glauben, aber bis zu dieser Zeit haben Mediziner das Händewaschen vor einer Operation für eine Zumutung gehalten. Und als Semmelweis, gestützt auf seine epidemiologischen Studien, ihnen sagte: »Wascht euch die Hände, macht das doch«, da hielten sie ihn für verrückt (und in der Tat ist Semmelweis im Jahr 1865 bei Wien in geistiger Umachtung verstorben). Nur wenige Kollegen nahmen damals seine These ernst, die meisten hielten Hygiene für mit den damals geltenden Theorien über Krankheitsursachen nicht vereinbar und damit für Zeitverschwendung.
    Und dann natürlich der letzte große Triumph: die Entlarvung des Rauchens als Ursache von Lungenkrebs. Damit fasst man eine Vielzahl von bösartigen Geschwülsten der Lunge zusammen, die meisten an den oberen Teilen der Lungenflügel, die besser belüftet werden und den eingeatmeten krebsauslösenden Substanzen stärker ausgesetzt sind. Vor allem die Zellen der Bronchialschleimhaut sind hier gefährdet. Geringe Schäden kann unser Körper durch eigene Reparatursysteme zwar noch beheben, aber wenn die sich durch starkes Rauchen häufen, ist dieses Reparatursystem überlastet, und es kommt zu Krebs.
    Noch vor wenigen Generationen war Lungenkrebs vergleichsweise unbekannt; bei Autopsien im Pathologischen Institut der Uniklinik Dresden im Jahr 1878 betraf nur ein Prozent aller Krebsfälle die Lunge. Heute ist Lungenkrebs der weltweit zweithäufigste Krebs überhaupt; mehr als eine Million Menschen sterben jedes Jahr daran. Schon im Jahr 1918 war der Anteil an Lungenkrebs an allen von den Dresdner Pathologen untersuchten Krebsfällen auf zehn und im Jahr 1927 auf 14 Prozent gestiegen. Als Ursachen vermutete man zunächst die Luftverschmutzung, das Asphaltieren der Straßen, den gestiegenen Autoverkehr, das Giftgas im Ersten Weltkrieg oder die

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