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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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der Tat war der Ekel ein ähnlicher Ekel, wie er ihn manchmal vor gewissen Reklameversen, Schlagermelodien oder Staatshymnen hatte, die er bis in den Schlaf hinein nachsprechenoder nachsummen mußte. Er hielt den Atem an wie bei einem Schluckauf. Beim Einatmen kam es dann zurück. Wieder hielt er den Atem an. Nach einiger Zeit half es, und er schlief ein.
    Am nächsten Morgen konnte er sich das alles gar nicht mehr vorstellen. Die Wirtsstube war schon aufgeräumt, und ein Steuerbeamter ging zwischen den Gegenständen umher und ließ sich vom Wirt die Preise sagen. Der Wirt legte dem Beamten die Rechnungen für die Kaffeemaschine und eine Kühltruhe vor; daß die beiden von Preisen redeten, ließ Bloch seine Zustände in der Nacht um so lächerlicher vorkommen. Er hatte die Zeitungen nach dem ersten Durchblättern weggelegt und hörte nur noch dem Steuerbeamten zu, der sich mit dem Wirt über den Preis eines Speiseeiskastens stritt. Die Mutter des Wirts und das Mädchen kamen dazu; alle redeten durcheinander. Bloch mischte sich ein und fragte, was wohl die Einrichtung eines Zimmers im Gasthof koste. Der Wirt antwortete, er habe das Mobiliar recht billig von Bauern in der Umgebung gekauft, die entweder weggezogen oder überhaupt ausgewandert seien. Er nannte Bloch einen Preis. Bloch wollte den Preis aufgeteilt für jeden einzelnen Einrichtungsgegenstand wissen. Der Wirt ließ sich von dem Mädchen die Inventarliste des Zimmers geben undnannte zu jedem Gegenstand sowohl den Preis, zu dem er ihn eingekauft hatte, als auch den Preis, zu dem er glaubte, eine Truhe oder einen Schrank weiterverkaufen zu können. Der Steuerbeamte, der bis dahin Notizen gemacht hatte, schrieb nicht mit, sondern bestellte bei dem Mädchen ein Glas Wein. Bloch war zufrieden und wollte weggehen. Der Steuerbeamte erklärte, wenn er einen Gegenstand, zum Beispiel eine Waschmaschine, sehe, erkundige er sich sofort nach dem Preis, und wenn er den Gegenstand dann wiedersehe, zum Beispiel eine Waschmaschine der gleichen Serie, erkenne er sie nicht etwa an den äußeren Merkmalen wieder, also eine Waschmaschine nicht an den Tasten für die Waschprogramme, sondern immer nur daran, was der Gegenstand, zum Beispiel die Waschmaschine, beim ersten Sehen gekostet habe, also am Preis. Den Preis freilich merke er sich ganz genau und erkenne auf diese Weise geradezu jeden Gegenstand wieder. Und wenn der Gegenstand nichts wert sei? fragte Bloch. Mit Gegenständen ohne Handelswert habe er nichts zu tun, antwortete der Steuerbeamte, zumindest nicht in der Berufsausübung.
    Der stumme Schüler war noch immer nicht gefunden worden. Zwar hatte man das Rad sichergestellt und suchte nun die Umgebung ab, aber es fielkein Schuß, der ein Signal hätte sein können, daß einer der Gendarmen auf etwas gestoßen war. Jedenfalls war das Geräusch des Haartrockners hinter dem Wandschirm in dem Friseurladen, in den Bloch dann gegangen war, so laut, daß er draußen nichts hörte. Er ließ sich im Nacken die Haare ausrasieren. Während der Friseur sich die Hände wusch, bürstete das Mädchen Bloch den Kragen ab. Jetzt wurde der Haartrockner abgeschaltet, und er hörte, wie hinter dem Wandschirm Papier umgeblättert wurde. Es gab einen Knall. Aber es war nur ein Lockenwickler hinter dem Wandschirm in eine Blechschüssel gefallen.
    Bloch fragte das Mädchen, ob sie in der Mittagspause nach Hause gehe. Das Mädchen antwortete, sie sei nicht aus dem Ort, sie komme jeden Morgen mit dem Zug; zu Mittag setze sie sich in ein Café oder bleibe mit ihrer Kollegin hier im Laden. Bloch fragte, ob sie jeden Tag eine Rückfahrkarte kaufe. Das Mädchen erwiderte, sie fahre mit einer Wochenkarte. »Was kostet die Wochenkarte?« fragte Bloch sofort. Bevor das Mädchen aber antwortete, sagte er, das gehe ihn ja nichts an. Trotzdem nannte das Mädchen den Preis. Die Kollegin hinter dem Wandschirm sagte: »Warum fragen Sie, wenn es Sie nichts angeht?« Bloch, der schon aufgestanden war, las, während er auf dasWechselgeld wartete, noch die Preistafel neben dem Spiegel und ging hinaus.
    Er bemerkte an sich eine merkwürdige Sucht, von allem den Preis zu erfahren. Es erleichterte ihn, als er die Scheiben eines Lebensmittelgeschäfts sah, auf die mit weißer Farbe die neu eingetroffenen Waren und ihre Preise geschrieben waren. In einer Obststeige, die vor dem Laden stand, war das Preisschild umgefallen. Er stellte es auf. Die Bewegung genügte, daß jemand herauskam und ihn fragte, ob er etwas kaufen

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