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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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wenig beleuchtet; aber es wurden keine Platten gedrückt. Die Küche nebenan war schon finster. Bloch wurde zum Nachtmahl eingeladen und aß mit den andern am Tisch.
    Obwohl das Fenster jetzt geschlossen war, flogen in dem Raum Mücken herum. Ein Kind wurde in das Wirtshaus um Bierdeckel geschickt, die dann auf die Trinkgläser gelegt wurden, damit die Mücken nicht hineinfielen. Eine Frau bemerkte, daß sie von ihrer Halskette das Anhängsel verloren hatte. Alle fingen zu suchen an. Bloch blieb am Tisch sitzen. Nach einiger Zeit überkam ihn eine Gier, der Finder zu sein, und er schloß sich den anderen an. Als das Anhängsel in dem Raum nicht gefunden wurde, suchten sie auf dem Gang draußen weiter. Eine Schaufel stürzte um, vielmehr, Bloch fing sie auf, bevor sie ganz umstürzen konnte. Der Bursche leuchtete mit einer Taschenlampe, die Bäuerin kam mit einem Petroleumlicht. Bloch bat um die Taschenlampe und ging auf die Straße hinaus. Er ging gebückt im Schotter herum, aber niemand war ihm gefolgt. Er hörte, wie drinnen im Flur jemand rief, das Anhängsel sei gefunden. Bloch wollte es nicht glauben und suchte weiter. Dann hörte er, wie hinter dem Fenster wieder gebetet wurde. Er legte die Taschenlampe von außen auf das Fensterbrett und ging weg.
    Wieder im Ort, setzte sich Bloch in ein Café und schaute beim Kartenspiel zu. Er fing mit dem Spieler, hinter dem er saß, zu streiten an. Die anderen Spieler forderten Bloch auf zu verschwinden. Bloch ging ins Hinterzimmer. Dort wurde ein Lichtbildervortrag gehalten. Bloch schaute eine Zeitlang zu. Es handelte sich um einen Vortrag über Ordenskrankenhäuser in Südostasien. Bloch, der laut dazwischenredete, fing mit den Leuten wieder zu streiten an. Er drehte sich um und ging hinaus.
    Er überlegte, ob er zurück hineingehen sollte, aber es fiel ihm nichts ein, was er dann hätte sagen können. Er ging in das zweite Café. Dort wollte er den Ventilator abgeschaltet haben. Die Beleuchtung sei außerdem viel zu matt, sagte er. Als die Kellnerin sich zu ihm setzte, tat er nacheiniger Zeit, als wollte er den Arm um sie legen; sie merkte, daß er nur so tun wollte, und lehnte sich zurück, noch bevor er deutlich machen konnte, daß er nur so tun hatte wollen. Bloch wollte sich rechtfertigen, indem er den Arm wirklich um die Kellnerin legte; aber sie war schon aufgestanden. Als Bloch aufstehen wollte, ging die Kellnerin weg. Jetzt hätte Bloch so tun müssen, als wollte er folgen. Aber das war ihm zuviel, und er verließ das Lokal.
    In seinem Zimmer im Gasthof wachte er kurz vor dem Morgengrauen auf. Unvermittelt war ihm alles ringsherum unerträglich. Er überlegte, ob er aufgewacht war, gerade weil zu einem gewissen Zeitpunkt, jetzt kurz vor Morgengrauen, mit einem Schlag alles unerträglich wurde. Die Matratze, auf der er lag, war eingesunken, die Schränke und Kommoden standen weit weg an den Wänden, die Decke über ihm war unerträglich hoch. Es war so still in dem halbdunklen Raum, draußen auf dem Gang und vor allem draußen auf der Straße, daß Bloch es nicht mehr aushielt. Ein heftiger Ekel packte ihn. Er erbrach sofort in das Waschbecken. Er erbrach einige Zeit, ohne Erleichterung. Er legte sich wieder aufs Bett. Er war nicht schwindlig, sah im Gegenteil alles in einem unerträglichen Gleichgewicht. Es nützte nichts, daß er sich aus dem Fenster beugte und die Straße hinunterschaute. Eine Plane lag still über einem abgestellten Auto. Drinnen im Zimmer erblickte er an der Wand die zwei Wasserrohre; sie liefen parallel, wurden begrenzt oben von der Decke, unten vom Fußboden. Alles, was er sah, war auf die unerträglichste Weise abgegrenzt. Der Brechreiz hob ihn nicht etwa auf, sondern drückte ihn noch zusammen. Es kam ihm vor, als hätte ihn ein Stemmeisen von dem, was er sah, abgestemmt, oder als seien vielmehr die Gegenstände ringsherum von ihm abgehoben worden. Der Schrank, das Waschbecken, die Reisetasche, die Tür: erst jetzt fiel ihm auf, daß er, wie in einem Zwang, zu jedem Gegenstand das Wort dazudachte. Jedem Ansichtigwerden eines Gegenstands folgte sofort das Wort nach. Der Stuhl, die Kleiderbügel, der Schlüssel. Es war früher so still geworden, daß keine Geräusche mehr ihn ablenken konnten; und weil es einerseits so hell war, daß er die Gegenstände ringsherum sah, und andrerseits so still, daß keine Geräusche ihn davon ablenken konnten, hatte er die Gegenstände so gesehen, als ob sie gleichzeitig Reklame für sich selber seien. In

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