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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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einzelnen Brosche am Hals, statt eines schwarzen Fingernagels, statt des einzelnen Pickels in der ausrasierten Augenbraue, statt des geplatzten Futters am leeren Kaffeehausstuhl wieder Umrisse, Bewegungen, Stimmen, Ausrufe und Gestalten wahr, alles in einem. Mit einer einzigen ruhigen, schnellen Bewegung fing er auch die Handtasche auf, die plötzlich vom Tisch gekippt war. Das erste Friseurmädchen bot ihm einen Bissen von ihrem Brot an, und als sie es ihm hinhielt, biß er ganz selbstverständlich hinein.
    Draußen hörte er, daß den Schülern schulfrei gegeben worden sei, damit alle nach dem Mitschüler suchen könnten. Sie hatten aber nur einige Gegenstände gefunden, die, bis auf einen zerbrochenen Taschenspiegel, nichts mit dem Vermißten zu tun hatten. Der Taschenspiegel sei an Hand der Plastikhülle als das Eigentum des stummen Schülers identifiziert worden. Obwohl man den Umkreis des Fundorts besonders sorgfältig abgesucht habe, sei man auf keine weiteren Anhaltspunktegestoßen. Der Gendarm, der Bloch das erzählte, fügte hinzu, daß einer der Zigeuner seit dem Abgängigkeitstag unbekannten Aufenthalts sei. Bloch wunderte sich, daß der Gendarm, noch dazu auf der anderen Straßenseite, stehengeblieben war und ihm das hergerufen hatte. Er fragte zurück, ob man denn schon die Badeanstalt durchsucht habe. Der Gendarm antwortete, das Bad sei abgesperrt, da komme niemand hinein, nicht einmal ein Zigeuner.
    Außerhalb des Ortes bemerkte Bloch, daß die Maisfelder fast ganz niedergetrampelt waren, so daß zwischen den geknickten Stengeln die gelben Kürbisblüten sichtbar wurden; mitten im Maisfeld, immer im Schatten, hatten sie erst jetzt zu blühen angefangen. Überall auf der Straße lagen die abgebrochenen Maiskolben, zum Teil abgeschält und von den Schülern angebissen; daneben lag schwarzer, aus den Kolben gerissener Maisbart. Schon im Ort hatte Bloch gesehen, wie sie, während sie auf den Autobus warteten, einander mit den zusammengeballten schwarzen Fasern bewarfen. Der Maisbart war so feucht, daß jedesmal, wenn Bloch auf ein Büschel trat, Wasser herausquoll und es quietschte, als ob er auf sumpfigem Boden ginge. Beinahe stolperte er über ein überfahrenes Wiesel, dem es die Zunge ziemlich weit aus dem Maulherausgetrieben hatte. Bloch blieb stehen und berührte mit der Schuhspitze die lange schmale, von Blut schwarze Zunge: sie war hart und starr. Er schob das Wiesel mit dem Fuß an die Böschung und ging weiter.
    An der Brücke bog er von der Straße ab und ging den Bach entlang auf die Grenze zu. Allmählich schien der Bach tiefer zu werden, jedenfalls floß das Wasser immer langsamer. Die Haselnußbüsche zu beiden Seiten wuchsen so weit über den Bach, daß man die Wasseroberfläche fast nicht mehr sah. Ziemlich weit weg knarrte eine Sense beim Mähen. Je langsamer das Wasser floß, desto trüber schien es zu werden. Vor einer Biegung hörte der Bach ganz zu fließen auf, und das Wasser wurde ganz undurchsichtig. In großer Entfernung konnte man einen Traktor knattern hören, als ob er mit alldem nichts zu tun habe. Schwarze Büschel von überreifen Holunderbeeren hingen zwischen dem Dickicht. Auf dem unbewegten Wasser standen kleine Ölflecke.
    Man sah, wie aus dem Untergrund des Wassers ab und zu Blasen aufstiegen. Die Enden der Haselnußzweige hingen schon in den Bach hinein. Jetzt konnte kein Geräusch von außen mehr ablenken. Kaum daß die Blasen an der Oberfläche waren, sah man sie wieder verschwinden. Etwassprang so schnell heraus, daß man nicht erkennen konnte, ob es ein Fisch gewesen war.
    Als Bloch sich nach einiger Zeit unvermittelt bewegte, gab es überall in dem Wasser ein Blubbern. Er betrat einen Steg, der über den Bach führte, und schaute regungslos auf das Wasser hinunter. Das Wasser war so ruhig, daß die Oberseite der Blätter, die darauf schwammen, ganz trocken blieb.
    Man sah die Wasserläufer hin- und herlaufen und darüber, ohne den Kopf zu heben, einen Mückenschwarm. An einer Stelle kräuselte sich das Wasser ein wenig. Wieder klatschte es, als ein Fisch aus dem Wasser sprang. Am Rand sah man eine Kröte auf der andern sitzen. Ein Lehmbrocken löste sich vom Ufer, und wieder blubberte es überall unter dem Wasser. Die kleinen Vorgänge auf der Wasseroberfläche kamen einem so wichtig vor, daß man, wenn sie sich wiederholten, gleichzeitig ihnen dabei zuschaute und sich schon an sie erinnerte. Und die Blätter bewegten sich so langsam auf dem Wasser, daß man ohne

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