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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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auf den Wachttürmen Feldstecher hatten; jedenfalls glitzere da oben etwas. »Von hier aus sind die Wachttürme gar nicht zu sehen!« antwortete eine der beiden Frauen. Bloch sah, daß sie vom Kuchenbacken Mehl im Gesicht hatten, vor allem auf den Augenbrauen und am Haaransatz.
    Er ging in den Hof hinaus, aber als ihm niemand folgte, ging er zurück. Er stellte sich so an den Musikautomaten, daß noch Platz neben ihm blieb. Die Kellnerin, die jetzt hinter der Theke saß, hatte ein Glas zerbrochen. Auf das Geräusch hin war die Pächterin aus der Küche gekommen, hatte aber nicht die Kellnerin angeschaut, sondern ihn. Bloch drehte an dem Knopf hinten am Musikautomaten die Musik leiser. Dann, noch während die Pächterin in der Tür stand, drehte er die Musik wieder lauter. Die Pächterin ging vor ihm durch die Wirtsstube, als ob sie den Raum abgehen wollte. Bloch fragte sie, wieviel sie dem Eigentümer der Gaststätte, dem Gutsbesitzer, Pacht zahlen müsse. Auf diese Frage blieb Hertha stehen. Die Kellnerin kehrte die Scherben auf eine Schaufel. Bloch ging auf Hertha zu, die Pächterin ging an ihm vorbei in die Küche. Bloch folgte ihr.
    Da auf dem zweiten Stuhl eine Katze lag, blieb er neben ihr stehen. Sie redete von dem Sohn des Gutsbesitzers, der ihr Freund sei. Bloch stellte sich ans Fenster und fragte sie über ihn aus. Sie beschrieb, was der Sohn des Gutsbesitzers tat. Ungefragt sprach sie weiter. Am Rand des Herds erblickte Bloch ein zweites Einweckglas. Ab und zu sagte er: Ja? In der Arbeitshose am Türrahmen erblickte er einen zweiten Zentimeterstab. Er unterbrach sie und fragte sie, bei welcher Zahl denn sie zu zählen anfange. Sie stockte, hörte sogar auf, das Kerngehäuse aus dem Apfel zu schneiden. Bloch sagte, seit kurzem beobachte er an sich die Gewohnheit, mit dem Zählen erst bei zwei anzufangen; heute morgen zum Beispiel sei er beim Überqueren der Straße beinahe unter ein Auto gekommen, weil er gemeint habe, bis zum zweiten Auto noch genug Zeit zu haben; das erste Auto habe er einfach nicht mitgezählt. Die Pächterin antwortete mit einer Redensart.
    Bloch ging zu dem Stuhl und hob ihn hinten an,so daß die Katze heruntersprang. Er setzte sich, rückte aber mit dem Stuhl vom Tisch ab. Dabei stieß er hinten gegen einen Abstelltisch, und eine Bierflasche fiel herunter und rollte unter das Küchensofa. Warum er sich immerzu setze, aufstehe, weggehe, herumstehe, zurückkomme? fragte die Pächterin. Ob er sie damit verspotten wolle? Statt zu antworten, las ihr Bloch einen Witz aus der Zeitungsunterlage für die Apfelabfälle vor. Da die Zeitung, von ihm aus gesehen, verkehrt lag, las er so stockend, daß ihm die Pächterin, indem sie sich vorbeugte, das Lesen abnahm. Draußen lachte die Kellnerin. Drinnen im Schlafzimmer fiel etwas auf den Boden. Kein zweites Geräusch folgte. Bloch, der auch vorher kein Geräusch gehört hatte, wollte nachschauen; aber die Pächterin erklärte, sie habe schon vor einiger Zeit gehört, daß das Kind aufgewacht sei; eben sei es aus dem Bett gestiegen und werde wohl gleich herauskommen und um ein Stück Kuchen betteln. In Wirklichkeit aber hörte Bloch dann ein Geräusch wie ein Wimmern. Es stellte sich heraus, daß das Kind im Schlaf aus dem Bett gefallen war und sich, neben dem Bett, auf dem Boden nicht zurechtfinden konnte. In der Küche erzählte das Kind, daß unter dem Kopfpolster ein paar Fliegen seien. Die Pächterin erklärte Bloch, die Nachbarskinder, die wegen des Todesfalls im eigenen Haus für die Dauer der Aufbahrung hier bei ihr schliefen, hätten die Gewohnheit, mit den Einweckgummis auf die Fliegen an der Wand zu schießen; die auf den Boden gefallenen Fliegen hätten sie dann am Abend unter die Kopfpolster getan.
    Nachdem dem Kind einige Sachen in die Hand gedrückt worden waren – die ersten ließ es noch fallen   –, beruhigte es sich allmählich wieder. Bloch sah, wie die Kellnerin mit einer hohlen Hand aus dem Schlafzimmer kam und die Fliegen in den Abfalleimer warf. Er sei nicht schuld daran, sagte er. Er sah, wie draußen vor dem Nachbarhaus der Bäckerwagen stehenblieb und wie der Fahrer zwei Brote auf die Haustorstufen legte, unten das schwarze, obenauf das weiße. Die Pächterin schickte das Kind dem Mann entgegen zur Tür; Bloch hörte, wie die Kellnerin an der Theke Wasser über die Hände laufen ließ; er entschuldige sich neuerdings immer, sagte die Pächterin. Wirklich? fragte Bloch. Gleich darauf kam das Kind mit zwei Broten in die

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