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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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hell, wenn wir nach Hause kommen.« »Ich tanze lieber langsam.« »Beim Heimfahren machen wir nicht mehr so viel Witze, da vergißt man aufs Sprechen.« Sie nehme alles zu ernst, sagte das erste Friseurmädchen. Gestern auf dem Weg zum Bahnhof habesie sogar in die Obstgärten nach dem vermißten Schüler geschaut. Bloch hatte die Ausweise, statt sie den beiden zurückzugeben, nur vor sie hin auf den Tisch gelegt, als sei er gar nicht berechtigt gewesen, sie anzuschauen. Er schaute zu, wie der Dunst seiner Fingerabdrücke von den Zellophanhüllen verschwand. Als sie ihn fragten, was er sei, antwortete er, er sei ein Fußballtormann gewesen. Er erklärte, daß Torhüter länger aktiv sein könnten als Feldspieler. »Zamora war schon ziemlich alt«, sagte Bloch. Als Antwort redeten sie von den Fußballspielern, die sie selber kannten. Wenn in ihrem Ort ein Spiel stattfinde, dann stellten sie sich hinter das Tor der auswärtigen Mannschaft und verspotteten den Tormann, damit er nervös würde. Die meisten Tormänner hätten O-Beine.
    Bloch bemerkte, daß jedesmal, wenn er etwas erwähnte und davon erzählte, die beiden mit einer Geschichte antworteten, die sie selber mit dem erwähnten oder einem ähnlichen Gegenstand erlebt hatten oder die sie jedenfalls vom Hörensagen von dem Gegenstand wußten. Sprach Bloch zum Beispiel von den Rippenbrüchen, die er sich als Tormann zugezogen hatte, so antworteten sie, daß vor einigen Tagen in dem Sägewerk hier ein Sägearbeiter von einem Bretterstapel gefallen sei und sich ebenfalls einen Rippenbruch zugezogen habe; underwähnte Bloch darauf, daß ihm die Lippen mehrfach genäht worden seien, so erzählten sie ihm als Antwort von einem Boxkampf im Fernsehen, wobei dem Boxer gleichfalls die Augenbraue aufgeplatzt sei; und als Bloch erzählte, bei einem Sprung sei er einmal gegen den Torpfosten geprallt und habe sich dabei die Zunge gespalten, erwiderten sie sofort, daß auch der stumme Schüler eine gespaltene Zunge habe.
    Außerdem sprachen sie von Dingen und vor allem von Personen, die er nicht kennen konnte, als ob er sie kennen müßte und eingeweiht sei. Maria habe Otto die Krokodilledertasche auf den Kopf geschlagen. Der Onkel sei hinunter in den Keller gekommen, habe Alfred in den Hof gejagt und die italienische Köchin mit einer Birkenrute geschlagen. Eduard habe sie an der Abzweigung aussteigen lassen, so daß sie mitten in der Nacht zu Fuß nach Hause gehen mußte; sie sei durch den Kindsmörderwald gegangen, damit Walter und Karl sie nicht auf dem Ausländerweg gehen sahen, und habe schließlich die Ballschuhe ausgezogen, die ihr Herr Friedrich geschenkt habe. Bloch dagegen erklärte zu jedem Namen, um wen es sich dabei handelte. Sogar Gegenstände, die er erwähnte, beschrieb er, um sie zu erklären. Wenn der Name Viktor fiel, fügte Bloch hinzu: »Ein Bekanntervon mir«; und wenn er von einem indirekten Freistoß erzählte, beschrieb er nicht nur, was ein indirekter Freistoß sei, sondern erklärte überhaupt, während die Friseurmädchen auf die Fortsetzung der Erzählung warteten, ihnen die Freistoßregeln; und sogar, wenn er eine Ecke erwähnte, die ein Schiedsrichter gegeben habe, glaubte er, ihnen die Erklärung, daß es sich dabei nicht um die Ecke eines Raums handle, geradezu schuldig zu sein. Je länger er sprach, desto weniger natürlich kam Bloch vor, was er redete. Allmählich schien ihm gar jedes Wort einer Erklärung zu bedürfen. Er mußte sich beherrschen, um nicht mitten im Satz ins Stocken zu geraten. Ein paarmal, wenn er einen Satz, den er gerade sagte, vorausdachte, versprach er sich; wenn das, was die Friseurmädchen sagten, genauso ausging, wie er es beim Zuhören mitgedacht hatte, konnte er zunächst nicht antworten. Solange sie noch vertraut miteinander gesprochen hatten, hatte er auch die Umgebung ringsherum immer mehr vergessen; nicht einmal den Hund und das Kind im Nebenraum hatte er mehr gesehen; aber als er dann stockte und nicht weiter wußte und schließlich nach Sätzen suchte, die er noch sagen könnte, wurde die Umgebung wieder auffällig, und er sah überall Einzelheiten. Endlich fragte er, ob Alfred ihr Freund sei; obimmer eine Birkenrute auf dem Schrank liege; ob Herr Friedrich ein Vertreter sei; und ob der Ausländerweg deswegen so heiße, weil er vielleicht an einer Ausländersiedlung vorbeiführe. Sie antworteten ihm bereitwillig, und nach und nach nahm Bloch statt der gebleichten Haare mit den dunklen Haarwurzeln, statt der

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