Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
missbraucht hatte.
Inzwischen bedauerte er, so streng mit ihr gewesen zu sein. Sie wurde terrorisiert, war überfallen worden, und jemand, an dem ihr Herz hing, wurde vermisst. Sie war in einer Notlage und hatte nach Erklärungen gesucht. Seine Patientenliste könnte helfen.
Gib sie ihnen.
Nein, unmöglich. Er konnte nicht einfach die Liste aushändigen, das wäre unethisch. Ein Polizeiverhör würde bei einigen seiner Patienten schweren psychischen Schaden anrichten. Diese Menschen hatten ihm ihre Ängste anvertraut und ihr Innerstes nach außen gekehrt.
Andererseits waren drei Morde geschehen, und es geschahen vielleicht noch mehr. Anna war in Gefahr. Und er war auf der Suche nach einem Verdächtigen unter seinen Patienten in einer Sackgasse gelandet. Inzwischen hatte er fast alle getestet, und keiner hatte sich verräterisch verhalten. Entweder ihm entging etwas Entscheidendes, oder sein Plan, den Verantwortlichen mit Psychologie zu überführen, war nicht so gut, wie er geglaubt hatte. Vielleicht konnte er Malone das Versprechen abringen, sich nur bei dringendem Tatverdacht mit seinen Patienten in Verbindung zu setzen. Unter dieser Voraussetzung würde er die Namensliste übergeben.
Und wenn das alles vorüber war, konnten er und Anna vielleicht von vorn anfangen.
Er war froh, den Entschluss gefasst zu haben. Durch seine Mithilfe wurde der Fall vielleicht gelöst. Anna wäre ihm dankbar, und Malone könnte aus ihrem Leben verschwinden. Damit entfiele für ihn ein weiterer Stressfaktor.
Ben ließ den Wagen an und legte den Gang ein. Er wollte seinen Entschluss sofort in die Tat umsetzen, ehe er es sich anders überlegen konnte. Lächelnd stellte er sich Malones erstauntes Gesicht vor, wenn er die Liste im 7. Revier abgab.
Fünfunddreißig Minuten später betrat Ben das Revier und ging zum Empfang. Er wies sich aus und fragte nach Detective Malone.
„Er ist nicht im Haus“, erwiderte der Officer, „aber sein Partner ist da. Reicht der Ihnen?“
Ben zögerte nur kurz und erklärte, er genüge. Ihm entging zwar das Vergnügen, Malones verblüffte Miene zu sehen, aber noch zu warten, wäre ein Fehler.
„Er heißt Terry Landry.“ Der Officer wies ihm den Weg ins Dienstzimmer zur Rechten. „Landrys Schreibtisch ist der vierte auf der linken Seite. Ein großer Bursche mit dunklem Haar. Er trägt ein Hawaiihemd.“
Ben bedankte sich und ging in die angewiesene Richtung. Niemand beachtete ihn auf seinem Weg durch das hektische Getriebe des Dienstzimmers. Er erkannte Terry Landry an dem bunt gemusterten Hawaiihemd.
In eine angeregte Diskussion mit einem Kollegen vertieft, wandte Landry ihm den Rücken zu.
Ben ging auf ihn zu. Der Detective begann sich umzudrehen.
Ben blieb wie angewurzelt stehen. Das ist nicht Terry Landry. Das ist Rick Richardsons, Angestellter beim Verkehrsamt!
Rick ist einer meiner Patienten. Nein, korrigierte er sich, nicht mehr. Rick hat die Sitzungen vor etlichen Wochen abgebrochen. Er rechnete nach und erschrak. Das war etwa zu dem Zeitpunkt gewesen, als der Schlüssel verschwand und das Paket mit Annas Buch auftauchte.
Zu der Zeit, als die erste Rothaarige ermordet wurde.
Sein Pulsschlag beschleunigte sich, als er sich die Sitzungen mit Rick durch den Kopf gehen ließ. Er war unzufrieden gewesen, hatte Zorn auf das System und die Bezahlung gehabt und litt unter den Respektlosigkeiten der Menschen, für die er arbeitete. Er hatte Wut auf seine Frau gehabt, weil sie ihn verlassen hatte und ihn nicht verstand. Und eine unterdrückte Wut auf seine kürzlich verstorbene Mutter, weil sie ihn ein Leben lang emotional gequält hatte.
Alles passt zusammen!
Ben machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Dienstzimmer. Er glaubte nicht, dass Rick – Terry – ihn gesehen hatte. Wenn seine Befürchtungen stimmten, war Terry Landry nicht nur ein schwer gestörter Mensch, sondern ein Mörder. Und er würde nicht erfreut sein, dass jemand seine doppelte Identität aufgedeckt hatte.
Ben schaffte es mit zittrigen Knien zu seinem Auto. Erst als er sicher hinter dem Steuer saß, blickte er zum Revier zurück.
Terry Landry stand auf den Eingangsstufen, Hände auf den Hüften, und sah nach rechts und links, als suche er jemand.
Ben ließ den Motor aufheulen und preschte davon, um schnell Abstand zwischen sich und seinen ehemaligen Patienten zu bringen. Als er mehrere Blocks gefahren war, ohne dass der Detective ihm folgte, atmete er erleichtert durch. Nach einem letzten Blick in den
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