Die Angstmacher
sie die Einzigen sind, die eine gute Lösung für das Problem haben: die privateRentenversicherung. Wie bei der Berufsunfähigkeitspolice ist die »Versorgungslücke« das zentrale Verkaufsargument der Unternehmen. Die Anbieter verteilen allerlei »Versorgungslücken-Rechner« an ihre Verkaufstruppen. Manche sind aus Papier oder Plastik, der Vermittler oder Verbraucher kann an Schrauben und Scheiben drehen, auf denen Zahlen mit Einkünften, Inflationsraten und zu erwartenden Alterseinkünften stehen. Andere kann der Vertreter am Computer bedienen. Es macht Eindruck, wenn er den Laptop am Esstisch aufgebaut hat und schon mit wenigen Eingaben und Klicks die Diagnose stellt. »Was man auch ausfüllt, eines kommt immer heraus: Die Lösung ist eine kapitalbildende, lang laufende Versicherung«, sagt die unabhängige Bonner Finanzberaterin Mechthild Upgang. »Man braucht nur an der Inflationsschraube zu drehen und siehe da: Schon ist die Rentenlücke ein bisschen größer.« Hat das Opfer erst genug Angst, folgt die Standardfrage des geschulten Vertreters: »Wie viel könnten Sie denn im Monat für die Altersvorsorge aufbringen?«
Vom »Rentenloch« gar spricht der Versicherer Skandia in seiner »Rentenloch-Kampagne«. »Von vielen unbemerkt tun sich in Deutschland immer mehr und immer größere Rentenlöcher auf«, heißt es in einem Werbespot des Unternehmens. »Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich vor dem freien Fall ins Rentenloch zu schützen«, sagt eine tiefe, beruhigende Männerstimme und stellt verschiedene Varianten der Rentenversicherung vor. Mit der privaten Altersvorsorge könne man gar nicht früh genug beginnen, mahnt die Stimme: »So hat Ihr Vermögen genug Zeit zu wachsen.«
Genau das Gegenteil erlebt hat eine Kundin der Skandia aus Oldenburg. Dagmar T. hat 2004 auf Empfehlung eines Vertreters des Finanzvertriebs AWD eine private Rentenversicherung bei der Skandia abgeschlossen. Verkaufsorganisationen wie AWD bieten keine eigenen Verträge an, sondern verkaufen die von Versicherern oder anderen Finanzdienstleistern und leben von den Provisionen. Der Vertrag bei der Skandia sollte dreißigJahre laufen. Zu Beginn zahlte die Kundin im Monat 250 Euro, später schrittweise mehr, denn der Vertrag sah eine »Dynamik« vor. Insgesamt überwies Dagmar T. 13 000 Euro. Vier Jahre nach Abschluss wollte die Kundin nicht weiterzahlen und stellte den Vertrag beitragsfrei. Im Juni 2011 kündigte die Skandia den Vertrag. Dagmar T. erhielt von den Einzahlungen in Höhe von 13 000 Euro nur knapp 3000 Euro zurück. »Der Hauptvertrag hat eine Beitragszahlungsdauer von dreißig Jahren und damit in den ersten drei Jahren eine Investition von 14 Prozent«, schrieb der Versicherer der Kundin. Das bedeutet: Die Skandia hatte in den ersten drei Jahren sage und schreibe 86 Prozent der Prämienzahlungen als Kosten von den Beitragszahlungen abgezogen. Für die Beitragsfreistellung berechnete der Versicherer außerdem noch eine Stornogebühr in Höhe von 2850 Euro, für die Kündigung zog die Skandia weitere 325 Euro Gebühr ab.
Schlechte Rendite, hohe Kosten, unflexibel
Eines der beliebtesten Verkaufsargumente für eine private Rentenversicherung ist die »Demografie«. Die Menschen werden immer älter. Immer weniger Erwerbstätige müssen für immer mehr Rentner aufkommen. Klar, dass die gesetzlichen Renten sinken müssen, lautet das Argument von Verkäufern und willfährigen Wissenschaftlern. Gerne wird es untermauert mit bunten Bildern von Bevölkerungspyramiden, auf denen die unten stehenden Menschen ganz schön viel zu tragen haben. »Der Demografie entkommen die Kunden von privaten Rentenversicherungen erst recht nicht«, sagt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. Im Kleingedruckten behalten sich Unternehmen vor, bei Bedarf andere Sterbetafeln zu verwenden als bei der Kalkulation für den bestehenden Vertrag. Werden die Kunden viel älter als erwartet, fällt die Rente magerer aus, sagt sie.
Wer in der Versicherungsbranche unterwegs ist, macht immer wieder eine aufs Neue erstaunliche Erfahrung: Die Versichererbestreiten etwas und bestätigen es gleichzeitig. So ist es auch mit Volker Priebe, Abteilungsleiter Produktentwicklung beim Marktführer Allianz Leben. Vehement bestreitet er Castellós Argument. »Demografische Faktoren wie das Verhältnis Beitragszahler zu Rentnern oder rückläufige Geburtenentwicklungen, die die Leistungsfähigkeit eines Umlageverfahrens wie der gesetzlichen Rentenversicherung
Weitere Kostenlose Bücher