Die Angstmacher
werden. Oder besser: das, was vom Beitrag tatsächlich in den Spartopf fließt. Der Versicherer zieht einen großen Batzen für Kosten wie die Vermittlergebühr oder die Verwaltung ab, bevor er für den Kunden zu sparen beginnt. Von den 100 Euro Prämie im Monat bleiben vielleicht nur 80 Euro übrig. Wie viel genau, weiß der Kunde in der Regel nicht. Das ist Geschäftsgeheimnis. Hat der Versicherer einen teuren Vertrieb, zum Beispiel eine Organisation wie AWD oder DVAG, wird er mehr abziehen als einer ohne Vertrieb. Die Überschussbeteiligung bezieht sich also auf den Rest von den 100 Euro, den außer dem Unternehmen niemand kennt. Wer 95 Euro verzinst, gibt dem Kunden mehr als einer, der nur 80 Euro verzinst. Trotzdem wird die Höhe der Überschussbeteiligung in der Branche – von Unternehmen, Vermittlern und Kunden – als zentrale Kennzahl angesehen. Als gut und verbraucherfreundlich gelten Gesellschaften mit hoher Überschussbeteiligung. Das ist absurd. Zieht der Versicherer von den gezahlten 100 Euro nur 5 Euro ab, ist er viel kundenfreundlicher als der Konkurrent, der 20 Euro wegnimmt und eine um 0,2 Prozentpunkte höhere Überschussbeteiligung gewährt.
Die Medien verfolgen die alljährliche Veröffentlichung der aktuellen Werte genau, denn die Journalisten leiten aus der Zahl ab, wie finanzstark ein Versicherer ist und wie er im Vergleich zur Konkurrenz dasteht. Auch Kunden beobachten das gespannt. Gegen Ende des Jahres herrscht Hochkonjunktur in der Branche, dann schließen die meisten Versicherten ab.
Viele Gesellschaften warten erst einmal ab, was Marktführer Allianz Leben macht. Die Allianz Leben ist mit weitem Abstand der größte Lebensversicherer in Deutschland. Fast jeder fünfte verkaufte Vertrag wandert ins Hauptquartier nach Stuttgart. Was der Marktführer macht, hat Einfluss auf die ganze Branche. Die Überschussbeteiligung des Unternehmens gibt den Takt für den Markt vor. »Das stark gesunkene Zinsniveau berücksichtigt der Branchenführer mit einer Anpassung der laufenden Verzinsung der Sparanteile von 4,3 auf 4,1 Prozent«, teilte die Allianz im Dezember 2010 mit. Doch das stimmt so nicht. Nicht alle Kunden bekommen diese Überschussbeteiligung. Die Allianz Leben verkauft nicht nur private Rentenversicherungen, sondern auch Verträge für die betriebliche Altersversorgung. Für solche Verträge hat die Allianz Leben eine Pensionskasse mit fast einer Million Kunden. Diese Verträge erhalten nur eine laufende Überschussbeteiligung von 3,6 Prozent. Diese Information unterschlägt das Unternehmen in der Pressemitteilung. Die erhalten die Kunden erst Monate später aus der »Standmeldung« für den Vertrag. Mit diesen Briefen informieren Versicherer regelmäßig über die bislang erworbenen Ansprüche. Auf Nachfrage gibt der Versicherer als Grund für die niedrige Gewinnbeteiligung an, dass die Pensionskasse so wenig Kapital in Aktien investiert habe. Die Aktienquote liege bei null, heißtes. Dabei hatte der damalige Arbeitsminister Walter Riester die Rentenreform zu Beginn des Jahrtausends damit begründet, dass die Beschäftigten an den Erträgen der – damals – boomenden Kapitalmärkte beteiligt werden sollten. Für den Kunden ist es egal, ob der Versicherer viel oder wenig in Aktien investiert, ob die Börsen boomen oder kränkeln. Er bekommt seit zehn Jahren immer weniger gutgeschrieben.
Informationsbomben
Seit der großen Reform des Versicherungsvertragsgesetzes 2008 müssen die Anbieter Kunden vor dem Abschluss ein sogenanntes Produktinformationsblatt aushändigen. Verbraucher sollen mit wenigen Blicken das Wesentliche eines Vertrags erfassen können. Die Branche hat sich dagegen gewehrt, konnte sich aber nicht durchsetzen. Verhindern konnte sie aber, dass die Unternehmen einen begrenzten Raum für die Informationen bekommen, zum Beispiel eine Seite. Eigentlich soll es ja ein Produktinformations blatt sein. Aber die Versicherer dürfen zu jedem einzelnen geforderten Punkt so viel schreiben, wie sie wollen. Das tun sie auch. So torpedieren sie die ursprüngliche Idee. Seitenlang schütten sie die Interessenten mit Informationen zu. Eine Modellrechnung löst die nächste ab, Wichtiges steht neben Unwichtigem. Sie erschlagen den interessierten Bürger mit Daten, Fakten, Zahlen, Grafiken und allen möglichen Hinweisen, bis der kapituliert. »Das liest kein Mensch«, sagt Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein. Mit der Informationsbombe spielen die Versicherer geschickt den Ball ins
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