Die Angstmacher
die Einnahmen der Unternehmen über lange Strecken gesehen nicht. Im Jahr 2010 haben die Lebensversicherer gewaltige 87,2 Milliarden Euro an Beiträgen kassiert, 2005 waren es 72,6 Milliarden Euro. Die 27,4 Milliarden Euro aus dem Jahr 1990 muten dagegen fast bescheiden an. Nach der Wiedervereinigung haben die Versicherer in den neuen Bundesländern besonders aggressiv Lebensversicherungen verkauft. Dabei hatte die Branche mit einer Art Vertrauenskrise gerechnet. Anders als die Sparguthaben wurden die Vermögen auf den Versicherungskonten bei der Währungsunion nicht eins zu eins umgetauscht, sondern nur eins zu zwei. Die Kunden verloren also die Hälfte ihres Angesparten.
Der Name des bei der letzten Volkskammerwahl erfolgreichen Wahlbündnisses »Allianz für Deutschland« geht übrigens auf den Primus der Versicherungsbranche zurück: Bei der Rückfahrt von seinem ersten Gespräch mit Bundeskanzler und CDU-Chef Helmut Kohl kam der damalige Vorsitzende der DDR-CDU Lothar de Maizière Anfang 1990 im Westteil Berlins an einer Werbetafel der Allianz Lebensversicherung vorbei. »Mir fiel spontan der Slogan der Firma ein, so viel Westfernsehen hatte ich wohl doch gesehen: ›Hoffentlich Allianz versichert‹«, erinnerte sich Lothar de Maizière 20 Jahre später. 9 Es machte klick, und er schlug Kohl bei seinem nächsten Treffen den Namen für das Wahlbündnis vor.
Mit einem Husarenstreich riss sich die Allianz im Frühjahr 1990 die staatliche Versicherungsgesellschaft der DDR unter den Nagel. Sie sicherte sich damit eine hervorragende Startposition für den neuen Markt. Anfang der Neunzigerjahre zogen westdeutsche Vertreter auch der anderen Versicherer in Goldgräberstimmung in den Osten. Dort schwatzten sie vielen eine Police auf, die keine wollten, brauchten oder sich leisten konnten. Zeitweise kündigten die neuen Bundesbürger jede zehnte Lebensversicherung, in der Regel mit hohen Verlusten. Von ihren ersten Zahlungen ging das meiste Geld an den Vermittler. Seit der großen Versicherungsreform 2008 müssen die Kosten für die Vermittlerprovisionen immerhin auf fünf Jahre gestreckt werden. »Aber weg ist das Geld so oder so«, sagt Verbraucherschützerin Edda Castelló. Stolze 8 Milliarden Euro haben allein die Lebensversicherer im Jahr 2010 für Abschlusskosten ausgegeben. Das meiste davon fließt als Provision an Vermittler.
Viele Experten halten die hohen Provisionen für die Vermittler für den entscheidenden Fehler im System der Lebensversicherer. Nicht nur Verbraucherschützer sind dieser Auffassung. Die unabhängige Finanzexpertin Mechthild Upgang ist nicht die Einzige aus der Branche selbst, die in den hohen Abschlussprovisionen den Kardinalfehler sieht. »Würde es nur noch ratierliche Provisionen geben, wären 90 Prozent der heutigen Probleme gelöst«, sagt sie. Dann bekäme der Vermittler nicht mehr kurz nach Vertragsabschluss eine hohe Summe, sondern während der gesamten Laufzeit eine regelmäßige Vergütung. Damit hätten die Verkäufer ein Interesse daran, dass der Kunde eine Police abschließt, die zu ihm passt. Die Beratung würde besser. Gleichzeitig würde sich die in der Branche gepflegte Kultur des schnellen Geldes wandeln. Die Aufschneider und Abzocker würden zurückgedrängt.
Systematisch in die Irre führen
Auch der Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein ist kein Fan zu hoher Provisionen. Aber er hält sie nicht für das Grundübel der Branche. »Die Verträge sind das Problem«, sagt Kleinlein, der als Vorsitzender des Bundes des Versicherten klar auf der Seite der Verbraucher steht. »Die Vermittler können nichts dafür, wenn die Unternehmen schlechte Verträge entwickeln.« Kleinlein fordert, dass der Gesetzgeber Grundlagen und klare Regeln schafft, damit Kunden die Chance auf faire und verstehbare private Renten- und Lebensversicherungen haben. Diese Vorgaben müsste der Staat kontrollieren, zum Beispiel, indem Verträge genehmigt werden müssen. »Wir brauchen eine Regulierung des Marktes«, sagt Kleinlein. »Regulierung«, also der Eingriff des Staates, ist ein Wort, das die Assekuranz fürchtet wie der Vampir das christliche Kreuz.
Die Branche möchte so weitermachen wie bisher. Sie führt die Verbraucher systematisch in die Irre. Alljährlich im Spätherbst geben die Versicherer die Überschussbeteiligung für das kommende Jahr bekannt. Das ist eine Prozentangabe, die darüber informieren soll, mit welchem Satz das angesammelte Kapital des Kunden und seine Prämie verzinst
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