Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Angstmacher

Die Angstmacher

Titel: Die Angstmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Krueger
Vom Netzwerk:
plötzlich einem bremsenden Laster ausweichen. Er verliert die Kontrolle, das Auto prallt gegen die linke Leitplanke, schleudert diagonal über die Fahrbahn gegen die Leitplanke des Mittelstreifens. Sarah T. und ihr Sohn werden aus dem Wagen geschleudert. Wie durch ein Wunder bleibt das Kind unversehrt. Sein Vater hat Knochenbrüche und verliert ein Ohr. Die Mutter trägt schwerste Verletzungen davon: bleibende Hirnschäden, eine Lungenquetschung und einen Unterschenkelbruch. Sie wird in Italien medizinisch versorgt, Silvester 2004 wird sie ins Unfallkrankenhaus Hamburg-Boberg verlegt. Da ist sie 18 Jahre alt.
    Seit dem Unfall ist Sarah T. stark behindert. Sie sitzt im Rollstuhl. Die rechte Gesichts- und Zungenmuskulatur sind leicht gelähmt, ihr Denkvermögen und ihr Kurzzeitgedächtnis erheblich gestört. Sie braucht Hilfe. Laut Gerichtsurteil zehn Stunden täglich für die Grundpflege, acht Stunden für die beobachtende Pflege und sechs Stunden hauswirtschaftliche Unterstützung. Damit sich ihr Zustand nicht verschlechtert, benötigt sie spezielle Therapien. Nicht alle zahlt die Krankenkasse. Dafür und für die Pflege aufkommen muss der Haftpflichtversicherer des Autos, mit dem die Familie unterwegs war und das Sarah T.s Vater gehörte. Es war bei der Volksfürsorge versichert, die mittlerweile in der Generali aufgegangen ist. Deshalb führt die Generali den Rechtsstreit.
    Ausgerechnet bei einer Tochterfirma der Generali, bei dem IT-Dienstleister GDIS, ist Sarah T.s Mutter Brigitte zum Unfallzeitpunkt beschäftigt. Mittlerweile ist sie in den Vorruhestand gegangen. Brigitte T. kennt sich aus. Schnell schaltet sie eine Anwältin ein. Es geht hin und her. Der Versicherer will, dassSarah T. in eine Reha-Klinik geht. Brigitte T. will das nicht. Der Versicherer zahlt immer mal wieder kleinere Abschläge, aber insgesamt kommt die Sache nicht voran. »Über jedes Detail gab es Streit«, sagt Fachanwalt Jürgen Hennemann, zu dem Brigitte T. im Herbst 2007 wechselt. Braucht Sarah T. ein behindertengerechtes Badezimmer und wenn ja, dürfen die Apparaturen elektrisch betrieben sein oder muss die Mutter sie mit der eigenen Körperkraft in die Badewanne hieven? Alles Verhandlungssache. Zermürbende Auseinandersetzungen für die Angehörigen.
    Hennemann fordert eine Kapitalzahlung von der Generali. Die Gängelung seiner Mandantin soll ein Ende haben. Statt einer Rentenzahlung für die Pflege und Betreuung will er eine Abfindung für Sarah T. durchsetzen. Der Versicherer lehnt das ab. Es kommt zum Prozess. Im September 2008 bietet die Generali eine Abfindung von einer Million Euro und eine quartalsweise Rente an. Darauf lassen sich die Angehörigen von Sarah T. nicht ein, denn für die Versorgung der jungen Frau würde das nicht reichen. Pflege kostet viel Geld. Die Generali reguliert den »Schaden« nur zu 70 Prozent, denn sie geht von einem »Mitverschulden« des Opfers aus. Sarah T. soll nicht angeschnallt gewesen sein. Vermutlich habe sie während des Unfalls den neun Monate alten Sohn gestillt, behauptet der Versicherer. Beweisen kann er das nicht. Nach einem Hinweis des Gerichts und einem Sachverständigengutachten ist klar, dass die Generali damit nicht durchkommt. Im April 2011 ist die Gesellschaft bereit, zu 100 Prozent zu regulieren. Aber unklar ist noch immer, wie viel sie zahlt und vor allem: wie.
    Im Juni 2011 macht die Zivilkammer II des Landgerichts Hamburg einen für die deutsche Rechtsgeschichte sensationellen Vergleichsvorschlag. Die Richter schlagen eine Abschlagssumme von 4,3 Millionen Euro vor. Der Versicherer lehnt ab. »Die Bedenken der Generali richten sich ausdrücklich nicht gegen die vorgeschlagene Schadenshöhe, sondern einzig gegen die Form der Auszahlung als Einmalzahlung anstelle einer lebenslangen Rentenzahlung. Durch eine solche Abfindungwäre die Versorgungssicherheit der schwer geschädigten jungen Frau nicht gewährleistet«, begründet das Unternehmen seine Haltung. Will es das Opfer vor sich selbst schützen?
Ohrfeige für die Generali
    Im Juli 2011 gibt das Landgericht dem Versicherer in der Frage der Kapitalabfindung recht. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte Generali auf ganzer Linie gewonnen. »Es liegen keine wichtigen Gründe vor, die eine Kapitalisierung einzelner, mehrerer oder aller Schadenspositionen gebieten«, heißt es im Urteil. Aber das Unternehmen bekommt auch eine gewaltige Ohrfeige. Das Gericht verurteilt den Versicherer zu einem weitaus höheren

Weitere Kostenlose Bücher