Die Angstmacher
Deshalb verpflichten Gesetzgeber oder Standesorganisationen Autohalter und bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Anwälte oder Hebammen zum Abschluss dieser Policen. Mehr als 70 Prozent der Haushalte haben eine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Diese Menschen treibt die Angst vor einem Fehler, den sie mit eigenen Mitteln nie wieder gutmachen können. Die Versicherer haben eine große gesellschaftliche Verantwortung. Aber sie werden ihr nicht gerecht. Dass Geschädigte sich das, was ihnen zusteht, erst mühsam vor Gericht einklagen müssen, ist kein Einzelfall. An den Gerichten der Republik gibt es spezielle Versicherungskammern, Tausende von Verfahren sind anhängig. Eltern, deren Kinder bei der Geburt durch Kunstfehler bleibende Schäden davongetragen haben, werden über viele Jahre durch die Instanzen gejagt, bis sie materiell entschädigt werden. Die Regulierung zieht sich ewig hin. Immer wieder fühlen sich Opfer schlecht behandelt. Selbst wenn die Versicherer sich aus ihrer eigenen Sicht besonders kooperativ zeigen, können sie offenbar nicht über ihren bürokratischen Schatten springen.
Die AXA war der Haftpflichtversicherer des Veranstalters der Duisburger Loveparade, der Firma Lopavent. Die riesige Technoparty am 24. Juli 2010 endete in einer Katastrophe. Das Gelände rund um den alten Duisburger Güterbahnhof ist voller Menschen, zu vieler Menschen. Sie drängen über die Karl-Lehr-Straße auf eine Rampe, die sich zwischen zwei Tunneln befindet. Es geht weder nach vorn noch zurück. Gegen 17 Uhr versuchen einige Raver eine Mauer hochzuklettern, sie stürzen in die Menge. Die Menschen können nicht ausweichen, sie geraten in Panik. Für 21 Techno-Fans wird der Abschnitt in der Karl-Lehr-Straße zur tödlichen Falle. Sie werden von der Menge zerdrückt. Bei Hunderten diagnostizieren Ärzte teils schwere körperliche Verletzungen am Brustkorb, Bauch, Gesicht oder Knochenbrüche. Auch unter Panik- und Angststörungen leiden seither viele.
Die Massenpanik hat das Leben vieler Teilnehmer auf den Kopf gestellt. Die schrecklichen Ereignisse im Tunnel prägen ihr Leben. Mit den körperlichen und seelischen Folgen müssen sie selbst fertig werden. Für die finanziellen, sollte man meinen, ist eigentlich der Haftpflichtversicherer des Veranstalters zuständig, deshalb gibt es ihn ja. Aber Anwälte und der Selbsthilfeverein der Opfer üben massive Kritik an der Vorgehensweise der AXA. »Ich fürchte, dass man mit einer Art Schadenschnelldienst billig da rauskommen möchte«, sagt Jürgen Hagemann, Vorsitzender des Selbsthilfevereins der Loveparade-Opfer. Seine Tochter wurde bei der Massenpanik schwer traumatisiert. Sie musste ihre Ausbildung abbrechen. Der Veranstalter der Loveparade hattebei der AXA eine Haftpflichtversicherung über 10 Millionen Euro abgeschlossen, 7,5 Millionen Euro sind für Personenschäden vorgesehen.
Die Klärung der Frage, wer wie haften muss, wird wohl noch Jahre dauern. Offensichtlich ist im Vorfeld des Techno-Spektakels eine Menge schiefgelaufen. Nicht nur beim Veranstalter, sondern auch bei der Stadt Duisburg, die für die Genehmigung verantwortlich war. Möglicherweise trifft auch das Land Nordrhein-Westfalen eine Mitverantwortung, weil beim Polizeieinsatz Fehler gemacht wurden. Deshalb ist noch nicht klar, wer für welche Schäden haften muss. Die Klärung von Haftungsfragen kann viele Jahre dauern. Damit die Opfer und Hinterbliebenen nicht so lange warten müssen, haben die Stadt Duisburg und die AXA einen Vertrag geschlossen, der Entschädigungszahlungen ermöglicht. Die Stadt Duisburg ist über einen kommunalen Haftpflichtverbund versichert. Dass die AXA ohne Klärung der Haftungsfrage zu Zahlungen bereit ist, könnte man ihr hoch anrechnen. So mancher Versicherer hätte diese Lage, in der alle Beteiligten von der Stadt, über das Land und die Polizei bis zum Veranstalter schlecht aussehen, zur Imagepflege genutzt. Ein Versicherer, der ohne Not zahlt – das kommt gut an. Bei der AXA funktioniert das nicht. Hier läuft in dieser hochsensiblen, für alle Beteiligten hochemotionalen Lage offenbar etwas völlig schief. Es kommt einem so vor, als würde der Versicherer das Besondere der Situation nicht begreifen und sein ganz normales Schadenreguliererprogramm abspulen – dass bloß keiner eine paar Turnschuhe geltend macht, dem das nicht zusteht! Viele Opfer oder ihre Angehörigen jedenfalls fühlen sich schlecht behandelt.
Der Selbsthilfeverein der Opfer würde den
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