Die Apfelprinzessin
war also rundum ein echtes Glückstags-Mittagessen, und ich fing schon an, mich zufragen: Wie lang kann so eine Glückssträhne anhalten? Würde es vielleicht eine ganze Glückswoche werden? Ein Glücksmonat? Natürlich hoffte ich, es würde immer, immer so weitergehen, aber ich hatte meine Zweifel, ob das mit dem Glück so funktionierte. Sicher musste das Glück auch mal anderen Leuten einen Besuch abstatten. Irgendwann musste es einfach schwächer werden. Aber für den Rest dieses Tages würde es doch sicher noch halten. Oder?
Die Antwort erhielt ich in Sport. Wir machten Seilklettern, und das hatte ich noch nie geschafft. Kein einziges Mal in meinem ganzen Leben. Ich kam immer nur bis zu einer bestimmten Stelle, dann baumelte ich am Seil wie ein Gummiwurm am Haken. Das sah nicht gerade toll aus und war furchtbar peinlich. Außerdem machte es mir Angst. Also hatte ich aufgehört, es zu versuchen. Warum auch, wenn ich doch wusste, ich schaffe es sowieso nicht?
Aber dieser Tag war mein Glückstag, und deshalb würde ich es schaffen. Ich wusste eseinfach. Als Mr. Eddy, unser Sportlehrer, fragte, wer freiwillig hochklettern wollte, reckte ich den Arm ganz hoch.
Heute ist das Glück auf meiner Seite
, dachte ich mir,
heute ist das bestimmt kein Problem.
Mr. Eddy guckte total überrascht, als er meinen Arm in der Luft sah. »Wirklich, Clara Lee? Hast du nicht gesagt, Seilklettern sei bei dir völlig ›aus der Mode‹?« Als er das sagte – »aus der Mode« –, da machte er diese schnelle Bewegung mit den Zeigefingern. Wie Hasenohren sieht das aus. Das macht er immer, wenn er etwas betonen will.
Ich stand auf und zuckte mit den Schultern. »Was gestern aus der Mode war, kann heute schon wieder modern sein, Mr. Eddy. Das kann man nie wissen.« Damit stolzierte ich an ihm vorbei.
»Umso besser, Clara Lee«, sagte Mr. Eddy. Er sah wirklich beeindruckt aus.
Ohne das kleinste bisschen Angst im Herzen ging ich geradewegs auf das Seil zu. Denn wenn mein Opa sagte, heute hätte ich Glück, dann stimmte das auch, das wusste ich.
Ich packte das Seil und fing an zu klettern. Und kletterte und kletterte. Als ich Angst bekam, bin ich einfach immer weitergeklettert, ohne nach unten zu schauen. Sogar als ich müde wurde, habe ich weitergemacht. Doch dann kam ich zu der Stelle, wo ich sonst immer abgesprungen bin. Einen Moment lang war ich unsicher, ob ich es dieses Mal weiter schaffen würde. Aber dann sagte ich mir: »Komm schon, Glückskind! Jetzt schaffst du’s auch noch bis ganz nach oben.«
Und ich hab’s geschafft! Ich konnte es selbst kaum glauben, als ich tatsächlich oben war, zum ersten Mal in meinem Leben. Shayna und Max und Georgina und Mr. Eddy, alle klatschten für mich. Max pfiff laut.
»Gut gemacht, Clara Lee«, rief Mr. Eddy nach oben. »Du kannst wieder runterkommen.«
Ich grinste und winkte ein bisschen. Alle winkten zurück. Dann dachte ich:
Wow, ganz schön hoch
, und ich fing an, hinunterzuklettern. Auf halber Strecke dachte ich:
Ach, was
soll’s, ich spring runter.
Und dann sagte ich etwas, das ich mal in einem Film gehört hatte: »Yippie-ja-yeah!«, brüllte ich, und dann bin ich gesprungen.
Es machte
wumm
, und ich war auf der dick gepolsterten Matte gelandet. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und Opa alles zu erzählen.
Shayna fragte: »Wie hast du das bloß gemacht, Clara Lee? Ich dachte immer, du hast Angst vor dem Seil.«
Ich verzog den Mund. »Das habe ich nie gesagt, dass ich Angst davor habe.«
»Na ja, du hast gesagt, du bist nicht gern so hoch oben.«
»Das ist nicht dasselbe wie Angst haben.«
Shayna blieb stur. »Für mich hört sich das an wie dasselbe. Also, wie hast du das heute geschafft?«
Ich sah Shayna einen Moment lang an. Shayna war meine beste Freundin, ich konnte ihr vertrauen. »Das kommt von meiner Glückssträhne«, sagte ich schließlich.
»Deiner was?«
»Pass auf: Ich habe geträumt, mein Opa wär gestorben …«
Shayna schlug sich die Hand vor den Mund. »Das ist doch kein Glück, das ist ein großes Unglück!«, sagte sie. Dabei machte sie ein ganz trauriges Gesicht. Shayna mag meinen Opa wirklich gern.
»Ach was, Dummchen. In Korea, also in unserer Kultur, bedeutet es Glück, wenn man träumt, dass jemand stirbt.«
»Kapier ich nicht«, sagte sie. »Aber ich glaube sowieso nicht an so was wie Glückssträhnen.
Meine
Oma sagt immer, man muss sein Glück selbst in die Hand nehmen.
Jeder ist seines Glückes Schmied,
sagt sie
.
«
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