Die Apfelprinzessin
deine Oma etwa ein weltberühmtes Traumgenie?«, forderte ich Shayna heraus.
»Wohl eher nicht …«
»Das wüsstest du, wenn es so wäre. Glaub mir. Mein Opa ist eins, und er bringt mir alles bei, was man dafür wissen muss.«
»Ich kann’s immer noch nicht glauben«, sagte Shayna. Aber sie schien doch ein bisschen unsicherer als vorher.
»Wart nur ab«, sagte ich und tippte ihr dabei auf die Nase, so wie mein Opa es manchmal macht. »Heute passieren mir noch lauter gute Sachen.«
Shayna klopfte mir auf die Finger. »Das werden wir ja sehen.«
Ich lächelte sie an. »Ja, das werden wir.«
Nach Sport bekamen wir unsere Aufsätze zum Thema Eichhörnchen zurück, ich hatte eine Eins mit Sternchen. Ich hielt mein Heft hoch und zeigte Shayna die Note. Dazu sagte ich stumm:
GLÜCK!
Shayna zuckte bloß mit den Achseln. »Du kriegst doch immer eine Eins für deine Geschichten«, flüsterte sie.
»Aber eine Eins mit Sternchen noch nie«, erinnerte ich sie.
Shayna zuckte wieder mit den Achseln. »Kann ich mal deinen Radiergummi haben? Meiner ist schon ganz krümelig.«
Seufzend griff ich in die Ablage unter meiner Tischplatte. Das Erste, was meine Finger fühlten, war eindeutig kein Radiergummi. Ich zog es hervor, und ob ihr’s glaubt oder nicht, es war eine Bonbonkette in einer Plastikhülle!
Wahnsinn! Wo kam die denn her? Gestern war sie noch nicht da gewesen, das wusste ich ganz sicher.
»Woher hast du die?«, flüsterte Shayna.
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Keine Ahnung …«
Shaynas Augen waren größer als die Riesenkaugummikugeln, die es in dem chinesischen Restaurant gibt, in das wir manchmal gehen. »Clara Lee, vielleicht hast du wirklich eine Glückssträhne«, sagte sie ganz leise und sah zu, wie ich die Plastikhülle aufriss.
Ich legte die Kette um und tastete nach den Bonbons. Kein einziges war kaputt. Dabei weiß jeder, dass bei diesen Ketten immer mindestens ein Teil kaputt ist. Bei dieser nicht. Diese war perfekt. Und sie stand mir bestimmt gut, jedenfalls hatte ich so ein Gefühl. »Hab ich’s dir nicht gesagt?«, flüsterte ich Shayna zu, während ich versuchte, mich in ihren Brillengläsern zu spiegeln.
»Halt mich auf dem Laufenden«, sagte sie und machte sich an die Matheaufgaben auf ihrem Arbeitsblatt.
»Mach ich.«
»Und gib mir endlich deinen Radiergummi, ja?«
Ich gab ihr den Radiergummi, aber statt mich selbst auch an meine Matheaufgaben zu machen, fing ich an, eine Liste zu schreiben. Ich bin ein richtiger Listen-Fan. Ich schrieb:
Darunter malte ich mich mit meiner Bonbonkette. Sie sah tatsächlich richtig gut aus. Als ich fast fertig war mit meiner Liste, war Ms.Morgan auch fast fertig mit ihren Ankündigungen. »Unsere fleißigen Putzhilfen bitten darum, dass wir nur so viele Papierhandtücher nehmen, wie wir auch wirklich brauchen. Es ist gar nicht so schwer, ein Umweltfreund zu sein, Kinder.«
Sie zwinkerte uns zu. »Und die letzte Ankündigung betrifft alle, die sich gern als Apfelprinzessin bewerben möchten. Die Reden werden am Donnerstagvormittag in der Schulversammlung gehalten. Das Thema lautet dieses Jahr: ›Was macht unsere Stadt so besonders?‹ Wenn ihr mitmachen wollt, tragt euch in die Liste ein, die neben der Tür zum Musiksaal von Mr. Charlevoix hängt.«
Vincent Peretti hob die Hand. »Ms. Morgan – ich möchte gern Apfelprinzessin werden. Darf ich mich auch bewerben? Bitte!«
Alle lachten, außer Dionne Gregory und mir. Sie drehte sich zu Vincent um und sagte: »Ich finde das nicht witzig! Die Apfelprinzessin gehört zu einer alten Tradition von Bramley. Darüber macht man sich nicht lustig.«
Dionne Gregory ist ein bisschen besserwisserisch. Sie weiß alles, und sie kann alles. Sie gewinnt im Buchstabierwettbewerb genauso wie beim Seilchenspringen. Sie ist einfach in vielen Sachen gut. Aber dieses Mal musste ich ihr irgendwie recht geben.
»Reg dich ab, Dionne«, sagte Vincent und rollte mit den Augen. »Ich hab doch nur Spaß gemacht.«
»Vincent«, sagte Ms. Morgan zu ihm, »wenn du dich gern für die Rolle der Apfelprinzessin bewerben möchtest, dann solltest du mit Mr. Charlevoix reden. Er ist im Festausschuss.«
»Ich hab doch schon gesagt, es war bloß Spaß, Ms. Morgan«, sagte Vincent. »Nicht mal für Geld würde ich da mitmachen.«
Ich sah auf meine Liste. Wie wäre es, wenn ich es dieses Mal versuchte? Jetzt, wo ich das Glück auf meiner Seite hatte, wäre ich vielleicht mutig genug. Vielleicht würde es ja genauso gehen wie
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