Die Apothekerin
er Zahnmedizin studiere, denn es paßte nicht zu ihm.
»Aus dem gleichen Grund, aus dem Sie Apothekerin sind«, meinte Levin, »um viel Geld zu verdienen.« Ich sah ihn aufmerksam an; so dachte er also von mir?
Bei unserer nächsten Ausfahrt sagten wir »du« zueinander, aber zu Zärtlichkeiten kam es nicht. Bei seinem dritten Besuch hielt er eine junge Katze auf dem Arm und überreichte sie mir strahlend. Ich muß gestehen, daß es für mich kaum etwas Reizenderes gibt als ein Kätzchen. Schon mehrmals wurde mir eines angeboten, aber aus Verantwortungsbewußtsein hatte ich stets abgelehnt. Tagsüber war ich nicht zu Hause, oft hatte ich Nachtdienst in der Apotheke oder wollte verreisen - wer sollte dann das Tier betreuen? Levin überhörte meine Bedenken. »Es ist ein Kater, wie soll er heißen?«
»Kater Murr«, sagte ich und dachte an die Katze meines Großvaters, die ich als Kind so geliebt hatte.
»Das gefällt mir nicht«, erklärte Levin, »er heißt Tamerlan.«
Ich hatte nun ein Kabriolett und einen Kater, die ich mir beide nicht ausgesucht hatte. Und über kurz oder lang hatte ich auch einen jungen Mann im Bett.
Immer wieder fragte ich mich, ob es Levin eigentlich nur ums Kabriofahren gegangen war. Das Auto spielte in unserer Beziehung eine erotisierende Rolle, jedenfalls für ihn. Für mich aber war er der erste Freund, mit dem ich lachen und mich wieder jung fühlen konnte. Natürlich fragte ich nicht, ob Levin schon viele Frauen gehabt hatte, aber es schien mir unwahrscheinlich. Wir schliefen zwar mit einer gewissen Regelmäßigkeit miteinander, aber er investierte viel mehr Zeit in Gespräche. Meistens war ich es, die die Initiative für ein zärtliches Stündchen ergriff, obgleich man besser von einem Achtelstündchen sprechen sollte.
Manchmal fuhren wir bis Frankfurt, um ins Kino zu gehen. Ich fand diesen Aufwand nicht lohnend, zumal der gleiche Film auch bei uns in Heidelberg zu sehen war. Aber es machte Spaß, mit einem euphorisch gestimmten Menschen durch die Gegend zu brausen.
Eigentlich war es eine schöne Zeit. Ich hatte mir geschworen, Levin weder zu füttern noch zu tränken, ihn weder in den Schlaf zu wiegen noch seine Hemden zu bügeln oder gar für ihn zu tippen. Aber schließlich machte er sich immer an meinem Wagen zu schaffen, montierte zwei Boxen und ein fast neues Autoradio, nahm beim Heimgehen den Müll mit nach unten oder brachte dem Kater Fischreste aus seinem Stehlokal ›Nordsee‹ mit. So herzlos konnte ich nicht sein, dem mageren Jungen kein Steak mit Zwiebeln zu braten; in der Mensa gab es selten vernünftiges Fleisch. Nachsichtig putzte ich die Wanne und kaufte Socken und Unterhosen, damit er nach seinem Kräuterbad etwas Sauberes zum Anziehen fand.
An meiner Dissertation arbeitete ich kaum noch. Levin hielt mich davon ab, er fand den Doktortitel für eine Apothekerin überflüssig. Ich erklärte ihm, daß ich in der Apotheke mehr oder weniger als Verkäuferin (mit Computerkenntnissen) tätig war, mit einer belegbaren Qualifikation hingegen die Möglichkeit hätte, eine Stelle in der Industrie oder Forschung zu erhalten.
»Wo verdient man am meisten?« fragte er.
»Wahrscheinlich in der Industrie oder natürlich mit einer eigenen Apotheke. Mir würde eine wissenschaftliche Tätigkeit die meiste Freude machen, am liebsten auf dem toxikologischen Sektor.« Aus taktischen Gründen verschwieg ich, was ich in Wahrheit noch viel lieber wollte.
Alle drei Wochen hatte ich Nachtdienst; Levin besuchte mich dann gern und ließ sich ein wenig erklären, was ich zu tun hatte. »Es ist wirklich nicht aufregend«, sagte ich, »in der Apotheke meines Großvaters wurden noch viele Rezepte nach Anweisung des Arztes zusammengerührt, das darf ich leider nur für ein paar Hautärzte machen.«
Bedauerlicherweise hatte ich außer einigen Flaschen und Mörsern nichts aus dem großväterlichen Fundus geerbt, die Apotheke wurde verkauft. Levin wollte meine Erbschaft sehen; ich bin immer noch sauer, daß ich nicht Großvaters Spazierstocksammlung geerbt habe. Zu seinen Zeiten liefen die Männer ohne Aktentasche oder Aktenköfferchen herum, die Hände waren frei für Stock und Schirm. Heute jagen Sammler hinter wertvollen antiken Stücken her, damals konnte sie mein Großvater seinen Kunden für wenig Geld abschwatzen. Er besaß einen Arztstock mit einer sich windenden Schlange aus Elfenbein, einen Opernstock aus Rosenholz und Email, Ebenholz- und Hornstöcke mit Knäufen aus Silber, Bronze,
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