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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Fernseher heraus.
    Sie klopfte. Und klopfte wieder. Starrte aus weißen Klumpenaugen und klopfte stumm gegen den Bildschirm.
    Irgendwie gelang es Jonas, die Fernsteuerung zu drücken. Er wollte ausschalten, erwischte jedoch den Schnellvorlauf. Das Band endete nach einer Stunde.
    Als er die Heckklappe öffnete, drang frische Luft in den stickigen Raum. Jonas atmete tief ein und aus. Mit dem Fernglas sprang er auf die Straße. Lange suchte er, das Instrument gegen die Augen gestemmt, die Gegend ab.
    Leblos lagen Ansiedlungen da. Die Reifen von Autos steckten tief in schlammiger Erde. Auf einem überwucherten Feld reckte eine Vogelscheuche die Besenarme. Vereinzelt trieben Wolken am Himmel. Das einzige Geräusch war das seiner Schritte auf dem brüchigen Asphalt.
    Im Führerhaus des Lkws notierte er den Kilometerstand. Er verriegelte die Türen. Kamera baute er keine auf. Er fiel in die Koje, ohne sich auszuziehen. Mit letzter Kraft schlüpfte er unter eine Decke. Seine Augen brannten.
    Saarbrücken, dachte er. 10.August. Ich schlafe jetzt. Gleich. Morgen geht es weiter. Alles in Ordnung. Alles wird gut.
    Ruhe, dachte er.
    Die Autobahn. Autos fuhren auf einer Autobahn. In den Autos saßen Menschen, die sie lenkten. Mit den Schuhen standen sie stramm auf den Gaspedalen. In den Schuhen steckten Füße. Österreichische Füße. Deutsche Füße. Serbische Füße. Füße hatten Zehen. Zehen hatten Nägel. Das war die Autobahn.
    Hör auf zu denken, dachte er.
    Er sank mit dem Gesicht immer tiefer in die alte, nach fremdem Schweiß riechende Matratze, als würde ihn jemand niederdrücken.
    Er wälzte sich auf die andere Seite und fragte sich, wieso der Schlaf nicht kommen wollte.
    Er hörte Geräusche, die er nicht zuordnen konnte. Eine Weile hatte er den Eindruck, über das Dach des Führerhauses würden Murmeln gerollt. Dann glaubte er, etwas um den Wagen schleichen zu hören. Er war zu keiner Bewegung imstande. Die Decke war zu Boden gerutscht. Er fror.
    Auf den Fahrersitz gestützt, schaute er zwinkernd ins Freie. Die Sonne tauchte rot hinter den Hügeln am Horizont auf. Vor ihm auf der Straße lag ein Gegenstand.
    Eine Kamera.
    Ihm war, als habe er überhaupt nicht geschlafen. Halb besinnungslos vor Müdigkeit kletterte er aus dem Führerhaus. Ein Traum von vergangener Nacht zuckte in ihm auf. Zumindest eingenickt mußte er also doch sein.
    Wie ein Betrunkener schwankend, umrundete er einmal den Lastwagen. Zu sehen war niemand. Mit der Kamera zog er sich rasch wieder ins Führerhaus zurück.
    Nach einer Weile wurde ihm bewußt, daß er schlaff auf dem Fahrersitz saß und auf die Straße starrte. Was tat er hier? Er gehörte nach hinten. Er wollte sich die Kassette ansehen.
    Die Kamera. Er untersuchte sie. Seit der Videofahrt mit dem Spider waren all seine Kameras numeriert. Er schaute nach. Sie trug die Nummer derjenigen, die vor einigen Tagen verschwunden war.
    Etwas sagte ihm, daß er den Ort besser gleich verließ. Nicht noch einmal ausstieg, um die Kassette anzusehen. Er verriegelte die Tür. Aus dem Handschuhfach nahm er sich etwas zu trinken, dann fuhr er los.
    Der Traum kehrte zurück.
    Diesmal waren die Bilder klarer. Er stand im Badezimmer in der Brigittenauer Lände. Im Spiegel sah er, wie sich sein Gesicht, ja sein ganzer Kopf veränderte. Von Sekunde zu Sekunde bekam er einen anderen Viehkopf. Er stand da mit einem Bärenkopf, einem Geierkopf, einem Hundekopf. Einem Schweinekopf, einem Hirschkopf, einem Fliegenkopf, einem Stierkopf, einem Rattenkopf. Mit einem Wimpernschlag war die Metamorphose abgeschlossen, Kopf folgte auf Kopf.
    Nahe Metz stellte er die elfte Kamera auf die Straße. Auch sie programmierte er für 16 Uhr. Er frühstückte hinten in der Sitzecke, die Füße bequem auf den Tisch gelegt. Der Löskaffee, den er aus der neuen Tasse mit seinem Namenszug trank, schmeckte bitter. Dagegen aß er das Pfirsichkompott mit Appetit. Diese Sorte hatte er als Kind oft bekommen. Als er die Dose im Supermarkt entdeckt hatte, war ihm sofort der Geschmack auf der Zunge gelegen.
    Kauend sprang er auf und drückte sich an der Wand entlang zur Fahrertür des Toyota. Er las den Kilometerstand ab. Dreißig Kilometer mehr als am Tag zuvor.
    Mit unerwarteter Wucht kehrte die Müdigkeit zurück. Er durfte jetzt auf keinen Fall schlafen. Er goß sich kaltes Wasser über den Kopf. Das Hemd wurde klatschnaß, eisige Schauer strichen ihm über den Rücken. Er machte Turnübungen, um den Kreislauf weiter anzuregen. Er

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