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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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oder sich gleich für fünfzehn Monate zu verpflichten. In letzterem Fall dürfe er sich aussuchen, welcher Einheit er nach der Grundausbildung zugeteilt wurde. Keine Sekunde hatte er gezögert. Er marschierte nicht gern, und um der Infanterie zu entkommen, war ihm alles recht. So wurde er zuerst Kraftfahrer, später Feuerwerker. Zwei Monate hatte er in den Tiroler Bergen Lawinen gesprengt.
    Er streifte durch den Laden. Im Grunde konnte er Waffen nicht leiden. Lärm aller Art verabscheute er. Silvester hatte er in den letzten Jahren mit Marie, Werner und dessen Freundin Simone auf einer Berghütte verbracht. Aber es gab Situationen, in denen der Besitz eines Gewehrs Vorteile bot. Nicht einer beliebigen Flinte. Das beste Gewehr der Welt, wenigstens vom psychologischen Standpunkt, war eine Pumpgun. Wer einmal gehört hatte, wie dieses Gewehr durchgeladen wurde, vergaß den Klang nicht.
    Ein von Pollern verschont gebliebener Seiteneingang bot Gelegenheit, auf das Gelände des Praters zu fahren. Sein erster Weg führte ihn zu einem Würstelstand. Er drehte das Gas unter der Bratfläche an, bepinselte das Blech mit Öl. Als die Temperatur paßte, legte er eine Reihe Würstchen auf.
    Während ihm der Duft vor sich hin garender Würste in die Nase stieg, betrachtete er das erstarrte Riesenrad, das unweit von ihm aufragte. Oft war er damit gefahren. Das erstemal als Junge, zusammen mit seinem Vater, der von der ungewohnten Höhe vielleicht ebenso eingeschüchtert gewesen war wie der Sohn, so daß nicht sicher war, wer wessen Hand festgehalten hatte. Später war er immer wieder mitgefahren. Mit Freundinnen. Mit Kollegen. Meist am Ende eines Betriebsausfluges, in schon recht kräftiger Stimmung.
    Er drehte die Würstchen auf dem Blech. Es zischte, Rauch stieg auf. Er zog den Ring von einer Bierdose. Mit zurückgelegtem Kopf, den Blick auf das Riesenrad gerichtet, trank er.
    An jenem Tag, an dem Marie von den Austrian Airlines als Flugbegleiterin angestellt worden war, hatte sich Jonas zu einem Opfer durchgerungen. Für Marie und sich hatte er drei Stunden lang eine Gondel gemietet. Allzu romantische Gesten waren ihm fremd, Kitsch verabscheute er, doch er wußte, daß er damit Marie viel Freude bereiten würde.
    Ein gedeckter Tisch erwartete sie. Im Eiskübel stand eine Flasche Champagner. Eine langstielige rote Rose steckte in einer Kristallvase. Sie nahmen Platz, die Vorspeisen wurden aufgetragen, der Kellner zog sich mit einer Verbeugung zurück. Mit einem leisen Ruck setzte sich das Rad in Bewegung.
    Zwanzig Minuten dauerte eine Umdrehung. Hoch oben genossen sie den Ausblick über die Stadt, deren Ampeln, Laternen und Scheinwerfer den späten Abend erhellten. Sie wiesen einander auf Sehenswürdigkeiten hin, die sie seit jeher kannten, die aber durch die Perspektive neu an Reiz gewannen. Jonas schenkte nach. Als sie unten angekommen und die Teller gegen die secondi piatti ausgetauscht worden waren, schimmerten Maries Wangen schon rötlich.
    Ein Jahr später erwähnte Marie in einem Gespräch mit unterdrückter Ironie seine romantische Ader. Erstaunt fragte er nach, wo diese liege. Sie erinnerte an den Abend auf dem Riesenrad. Und so erfuhr er, daß sie für Dinner im Kerzenschein hoch über Wien ebenfalls wenig übrig hatte. Um ihm Freude zu bereiten, hatte sie die wunderbare Atmosphäre gepriesen, in Wahrheit hatte sie sich nach einem Hocker in der Kneipe mit einem Glas Bier gesehnt.
    Er biß in ein Würstchen. Es schmeckte fade. Er suchte nach Ketchup und Senf.
    Zu seiner Überraschung machte es kaum Schwierigkeiten, die Gerätschaften der umliegenden Stände in Betrieb zu setzen.
    Mit dem Gewehrgriff schlug er die Scheibe des Kassenhäuschens ein. Er entnahm ein paar Chips und setzte sich in ein Kart-Auto. Als er das Gaspedal drückte, reagierte das Fahrzeug nicht. Er steckte einen Chip in den Schlitz. Nun funktionierte es. Die Pumpgun auf den Schenkel gestützt, die freie Hand am Steuer, brauste er über den Kurs. Einige Runden drehte er so, das Gaspedal am Anschlag, bemüht, in den Kurven nicht die Fahrbahnbegrenzung zu streifen.
    Bei der alten Hochschaubahn mußte er, nachdem er sich Zugang zum Kassenhäuschen verschafft hatte, nur einen Knopf drücken, und schon rollten die hölzernen Wagen vor die Einstiegsbrücke. Jonas setzte sich in die erste Reihe. Die Fahrt verlief ereignislos. Als sei er ein gewöhnlicher Gast an einem gewöhnlichen Tag.
    Er schleuderte Wurfpfeile gegen Ballons, warf Ringe über Statuetten,

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