Die Arbeit der Nacht
hielt drei Wagenlängen davor. Als er, die Pumpgun in den Händen, ausstieg, bestrahlten die Scheinwerfer den Eingang.
Er hockte sich neben die Fahrertür. Eine Minute horchte er angestrengt in die Stille. Ab und zu legte sich Wind gegen seine Ohren.
Er sperrte den Wagen ab. Die Scheinwerfer ließ er brennen. Er zählte die Stockwerke bis zum erleuchteten Fenster. Mit dem Lift fuhr er in den sechsten Stock. Der Flur war finster. Er tastete nach dem Lichtschalter.
Es gab keinen. Oder er fand ihn nicht.
Das Gewehr vor dem Körper, tappte er über den Flur. Immer wieder blieb er stehen, lauschte. Kein Laut. Nichts verriet, wo er suchen mußte. Erst nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, nahm er ein paar Meter weiter am Boden einen Lichtschein wahr. Es war die Tür. Als er, im Glauben zu läuten, daneben einen Knopf drückte, erstrahlte grell die Gangbeleuchtung. Er kniff die Augen zusammen und fuchtelte mit dem Gewehr herum.
Der Flur war leer. Ein gewöhnlicher Flur.
Jonas wandte sich der Tür zu, an der kein Namensschild haftete. Eine Tür, die wie auch das Haus gut dreißig Jahre alt war. Spion hatte sie keinen.
Er läutete.
Nichts regte sich.
Er läutete wieder.
Nichts.
Mit dem Griff des Gewehrs hämmerte er gegen die Tür. Er rüttelte an der Klinke. Die Tür ging auf.
»Ist hier jemand?«
Er betrat eine Wohnküche. Couch, Fauteuil, Glastisch, Teppich, Fernseher, dahinter die Küchenzeile. Die Einrichtung hatte eine verwirrende Ähnlichkeit mit der in seiner eigenen Wohnung. Auch hier stand eine Topfpflanze in der Ecke. Hingen Lautsprecher einer Stereoanlage an Haken neben dem Fenster. Standen auf dem Heizkörper in kleinen Töpfen Küchenkräuter. Gab es einen mannshohen Wandspiegel.
Er betrachtete sich darin. Das Gewehr hielt er in beiden Händen. Hinter ihm eine Couch, die aussah wie seine eigene, eine Küchenzeile wie seine eigene. Eine Stehlampe wie seine. Ein Lampenschirm wie zu Hause.
Das Licht flackerte. Er umwickelte die Hand mit einem Stück Stoff und drehte an der Birne. Das Flackern hörte auf.
Ein Wackelkontakt.
Er ging durchs Zimmer. Berührte Gegenstände, verrückte Stühle, rüttelte an Regalen. Er las Buchtitel, drehte Schuhe um, zog Jacken von der Garderobe. Er durchsuchte Bad und Schlafzimmer.
Je genauer er schaute, desto mehr Unterschiede entdeckte er. Die Stehlampe war nicht gelb, sondern grau. Der Teppich war braun, nicht rot. Der Fauteuil abgewetzt, die Couch verschlissen, die gesamte Einrichtung abgewohnt.
Nochmals ging er von Zimmer zu Zimmer. Er konnte sich nicht von der Ahnung lösen, daß er etwas übersah.
Hier war niemand. Es gab keinen Hinweis, wann zuletzt jemand dagewesen war. Einiges sprach dafür, daß die Lichter brannten, seit es begonnen hatte. Das Blinken im Fenster war ihm nicht aufgefallen, weil er erst heute gewagt hatte, nachts auf die Straße zu sehen.
Eine normale Wohnung. CDs lagen herum, Wäsche war aufgehängt, im Abtropfbecken stand Geschirr, im Mülleimer lag zerknülltes Papier. Eine ganz gewöhnliche Wohnung. Hier war keine Botschaft versteckt. Oder er verstand sie nicht.
Auf einen Block schrieb er seinen Namen und die Handynummer. Er fügte seine Adresse hinzu, für den Fall, daß das Mobilfunknetz zusammenbrach.
Vom Fenster aus sah er in einigen hundert Metern ein kleines Rechteck leuchten.
Dieses Licht, das dort brannte, war seine eigene Wohnung.
Stand dort in diesem Augenblick alles an seinem Platz? Die Teetasse auf dem Couchtisch? Lag die Decke auf dem Bett? Tanzten die jungen Leute im Fernseher still auf den Transportern?
Oder war dort nichts? Bis er hinkam?
5
Morgens schaute er in den Briefkasten, dann fuhr er mit dem Spider in die Innenstadt, um Spuren zu suchen und zu hinterlassen. Mittags brach er in ein Gasthaus ein und aß etwas. Nachmittags suchte er weiter. Am Abend legte er sich mit einem Bier auf die Couch und sah den Berlinern beim stummen Tanz zu. Ans Fenster ging er nicht.
Er forschte in nahezu jedem öffentlichen Gebäude zwischen Ringstraße und Franz-Josef-Kai. Er durchkämmte Wiens Ämter, Museen, Banken. Die Pumpgun in der Linken, lief er über die Bühne des Schauspielhauses, durch die Gänge der Hofburg, vorbei an den Exponaten des Naturhistorischen Museums. Er lief durch die Albertina, die Universität, die Redaktionen von Presse und Standard . Allerorts verteilte er Zettel mit seiner Adresse und der Mobiltelefonnummer. Draußen war es heiß, drinnen kühl und dämmrig. In Lichtkegeln vor
Weitere Kostenlose Bücher