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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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ein paar Minuten über Belangloses gesprochen und dann für das Wochenende darauf vage ein Treffen abgemacht. Werner hatte ihn angerufen.
    Er drückte an Werners Telefon die Wahlwiederholung. Die Nummer seiner Wohnung in der Brigittenauer Lände schien auf.
    In der Rüdigergasse versuchte er sich in Erinnerung zu rufen, wie die Straße bei seinem letzten Besuch ausgesehen hatte. Auf Anhieb erkannte er das Stück Plastik auf dem Fahrradsattel wieder. Er sah die Flasche, die aus dem Abfalleimer ragte. Auch die Stellung der Fahrräder und Roller schien sich nicht verändert zu haben.
    Der Briefkasten. Leer.
    Die Wohnung. Unverändert. Alle Gegenstände da, wo sie beim letztenmal gewesen waren. Sein Wasserglas auf dem Tisch, die Fernbedienung. Es herrschte die übliche niedrige Temperatur. Altmännergeruch lag in der Luft. Die Displays an den technischen Geräten leuchteten.
    Dieselbe Stille.
    Die Federn des Bettes knackten bedrohlich, als er sich hinlegte. Er legte sich auf den Rücken und verschränkte die Hände auf der Brust. Sein Blick schweifte durch den Raum.
    Alles, was er hier sah, kannte er seit seiner Kindheit. Es war das Schlafzimmer seiner Eltern gewesen. Jenes Bild, das Porträt einer unbekannten jungen Frau, hatte gegenüber dem Bett gehangen. Das Ticken der Wanduhr hatte ihn in den Schlaf begleitet. Es war dieselbe Einrichtung wie vor dreißig Jahren. Nur die Wände waren falsch. Bis zu Mutters Tod vor acht Jahren war dieses Bett in einer Wohnung im zweiten Bezirk gestanden. In der er aufgewachsen war.
    Er schloß die Augen. Die Wanduhr schlug die halbe Stunde. Zwei Schläge. Ein tiefer, satter Klang.
    In der Hollandstraße wäre er beinahe am Haus vorbeigefahren. Es war gestrichen worden. Auch hatte man an der Fassade einiges repariert. Es machte einen anständigen Eindruck.
    Mit dem Brecheisen öffnete er unter Getöse die Briefkästen im Flur. Viele Reklamezettel, hier und da ein Brief. Ausnahmslos stammten die Poststempel aus der Zeit vor dem 4. Juli. Das Fach mit der Nummer 1, das seiner Familie gehört und aus dem er selbst oft Post genommen hatte, war leer. Den Namen des Nachmieters las er an einem Schildchen ab, das oben im Fach baumelte: Kästner.
    Während er die Stufen zum Hochparterre emporstieg und den alten, verwinkelten Gang entlangging, erinnerte er sich, wie ihm als Junge sein Onkel Reinhard die Freude bereitet hatte, ihm vom Schildermacher ein eigenes Namensschild prägen zu lassen. Es wurde an der Tür befestigt. Jedem Besucher führte Jonas stolz das Plättchen vor, auf dem sein Vor- und Nachname stand und das sogar noch über dem Familienschild hing.
    Wie erwartet, waren beide Schilder entfernt. Familie Kästner hatte das ihre angeschraubt.
    Er drückte die Klinke.
    Es war offen.
    Er blickte um sich. Er mußte dem Drang widerstehen, die Schuhe auszuziehen. Behutsam setzte er einen Schritt vor den anderen.
    Im Flur hing ein Plakat, auf dem mit kindlicher Handschrift Herzlich willkommen! geschrieben stand. Jonas stutzte. Es kam ihm bekannt vor. Er untersuchte es genauer. Er schnupperte sogar daran, so verwirrt war er. Er kam zu keinem Schluß.
    Er ging durch die vertrauten Räume, in denen fremde, unpassende Möbel standen. Oft blieb er stehen, verschränkte die Arme, versuchte sich in Erinnerung zu rufen, wie es hier früher ausgesehen hatte.
    Das winzige Zimmer, das er mit zehn bezogen und in dem seine Mutter zuvor Handarbeiten verrichtet hatte, war in ein Büro verwandelt. Das große Zimmer, das zugleich als Schlafzimmer der Eltern und als Wohnzimmer gedient hatte, war noch immer ein Schlafzimmer, allerdings abscheulich eingerichtet. Hier stieß er zu seinem Unmut auf eine Sitzgarnitur aus der armseligen holländischen 98erSerie, die zu verkaufen Martina ihn beinahe hatte zwingen müssen. Die zeitweilige Anwesenheit von Kindern bewiesen Bälle und Spielzeuggewehre, die er in einer Ecke hinter der Tür fand. Bad und Toilette waren unverändert geblieben.
    In der Toilette entdeckte er an der Wand neben dem Spülkasten in Kinderschrift die Sätze: Ich und der Fisch. Der Fs. Der sowie das F und das s von Fisch waren durchgestrichen.
    Er erinnerte sich gut. Er hatte das geschrieben. Doch er wußte nicht mehr, warum. Acht war er gewesen. Vielleicht neun. Sein Vater hatte mit ihm wegen des Gekrakels an der Mauer geschimpft, es aber zu löschen vergessen. Wohl auch, weil es an einer so unauffälligen Stelle stand, daß Monate vergangen waren, bis Vater darauf gestoßen war.
    Jonas ging auf

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