Die Arbeit der Nacht
eine neue Kassette in die Schlafzimmerkamera. Dabei betrachtete er das Bett. An dieser Stelle war der Schläfer gelegen. Hatte er gestarrt. Vor weniger als achtundvierzig Stunden.
Jonas legte sich hin. Er nahm dieselbe Position ein wie der Schläfer. Er blickte in die Kamera. Obwohl sie nicht eingeschaltet war, lief ihm ein Schauer über den Rücken.
»Guten Tag«, wollte er sagen, doch ihn erfaßte Schwindel. Er hatte das Gefühl, die Dinge um ihn würden kleiner und dichter. Alles ging unendlich langsam vor sich. Er öffnete den Mund, um zu schreien. Er hörte Lärm. Er hatte das Gefühl, die Geschwindigkeit, mit der er die Lippen schürzte, berühren zu können. Als er aus dem Bett fiel und den Boden unter sich spürte, ohne den Lärm zu vernehmen, als alles wieder normal schien, erfüllte ihn ein Gefühl von Dankbarkeit, das gleich der Erschöpfung wich.
16
Das Gemälde, auf das sich sein Blick richtete, kannte er nicht. Es zeigte zwei Männer, die klein vor breiten Windmühlen standen und einen großen Hund an der Leine führten. Ein farbenfrohes Bild. Gesehen hatte er es noch nie. Der Radiowecker auf dem Nachttisch war ihm ebenso fremd wie der Nachttisch selbst und die altmodische Schirmlampe, die er mechanisch ausknipste.
Es war nicht sein Fernseher, nicht sein Vorhang, nicht sein Schreibtisch. Nicht sein Bett. Es war nicht sein Schlafzimmer, es war nicht seine Wohnung. Nichts hier gehörte ihm, mit Ausnahme der Schuhe, die vor dem Bett standen. Weder wußte er, wo er sich befand, noch ahnte er, wie er hergekommen war.
Das Zimmer wies nicht die geringste persönliche Note auf. Der Fernseher war klein und schäbig, die Bettwäsche steif, der Kleiderschrank leer. Auf dem Fensterbrett lag eine Bibel. Ein Hotelzimmer?
Jonas schlüpfte in die Schuhe, sprang auf, sah aus dem Fenster. Er blickte auf ein Waldstück.
Er rüttelte an der Türklinke. Es war abgesperrt. Der Schlüsselanhänger klapperte innen gegen den Rahmen der Klinke. Er sperrte auf und öffnete leise die Tür. Durch den Spalt blickte er nach links. Ein Flur. Es roch abgestanden. Er zögerte, ehe er die Tür weiter aufmachte und hinter dem Türrahmen hervor nach rechts linste. Am Ende des Ganges machte er eine Treppe aus.
An seiner Tür haftete die Nummer 9. Er hatte richtig vermutet. Auf dem Weg zur Treppe kam er an weiteren Zimmern vorbei. Er rüttelte an den Klinken, doch alle waren versperrt.
Er lief die Treppe hinunter. Er ging durch einen Gang, der zu einer Tür führte. Dahinter fand er sich in einem weiteren Gang wieder. Die Wände waren mit Kinderzeichnungen geschmückt. Unter einer Sonne mit Ohren stand: Nadja Vuksits, 6 Jahre, aus Kofidisch . Ein Stück Käse, dessen Löcher fröhliche Gesichter waren, stammte von Günther Lipke aus Dresden. Eine Art Staubsauger war das Werk von Marcel Neville aus Stuttgart, ein die Sense schwingender Bauer das von Albin Egger aus Lienz. Und auf dem letzten Bild, das Daniel aus Wien gemalt hatte, identifizierte Jonas mit Mühe eine Bratwurst, aus der geschossen wurde.
Er lief um die Ecke. Beinahe wäre er gegen einen Kassenschalter geprallt. Die Schubladen unter der Kasse standen offen. Auf dem Stuhl des Kassiers lag eine aufgeschlagene Mappe, in der Briefmarken steckten. Auf dem Boden glänzten zwei Postkarten in dem grünlichen Licht, das aus Halogenlampen von der Decke strahlte.
Schnarrend öffnete sich vor ihm die Automatiktür. Die Hose am Gürtel hochziehend, trat er ins Freie. Die Ahnung wurde zur Gewißheit. Er befand sich in Großram. Er war in einem Motelzimmer der Autobahnstation erwacht.
Entweder war jemand anderer für all das verantwortlich. Oder er selbst. Aber das wollte er einfach nicht glauben.
Es war kalt, Wind wehte. Jonas, der ein Hemd trug, rieb sich fröstelnd die Arme. Am Briefkasten neben dem Eingang drückte er den Schlitz auf und spähte hinein, doch es war zu dunkel, um etwas zu erkennen.
Der Spider stand auf dem Parkplatz. Jonas griff nach den Schlüsseln in der Hosentasche. Er öffnete den Kofferraum. Das Gewehr war nicht da, doch damit hatte er auch nicht gerechnet. Er nahm das Brecheisen heraus.
Der Briefkasten bot wenige günstige Stellen, um das Eisen anzusetzen. Zunächst versuchte er es unten an der Klappe, die der Postbote mit dem Schlüssel öffnete. Das Eisen glitt immer wieder ab. Schließlich wurde es ihm zu dumm, und er steckte es in den Briefschlitz. Er stemmte sich mit dem Oberkörper darauf und drückte mit aller Gewalt. Ein schleifendes Krachen
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