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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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ein Heimkehrer sofort sehen mußte. Er schrieb:
    Komm nach Hause. Jonas.
    Nach einem Moment des Bedenkens heftete er auch innen an die Tür ein Blatt mit derselben Nachricht.
    Er brachte den Lastwagen in die Hollandstraße zurück. Mit einem Fahrrad fuhr er unter drückender Sonne in die Rüdigergasse, von dort mit dem Spider in die Brigittenauer Lände. Er hatte Kopfschmerzen. Die Schuld daran gab er dem Holzstaub, den er beim Kleinhacken des Bettes hatte einatmen müssen. Vielleicht war es auch die Hitze.
    Als er die Fotos aus dem Spider holte, fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, den Keller auszuräumen. Er ärgerte sich. Er hatte das Haus in der Rüdigergasse nicht mehr betreten wollen. Nun mußte er morgen noch einmal hinfahren.
    Er öffnete die Haustür, lauschte. Er machte sie hinter sich zu und sperrte ab. Tat keinen Schritt. Horchte. Ließ den Blick schweifen. Es sah aus wie am Vortag, als er das Haus verlassen hatte. Wenn er die Tür öffnete oder schloß, flatterten Reklamezettel vom Boden auf. In der Ecke lag ein zerfetzter Tennisball, mit dem der Schäferhund einer Nachbarin gespielt hatte. Der Lift war im Erdgeschoß. In der Luft lag der stumpfe Geruch von Mauerwerk.
    Vorsichtig stieß er die Wohnungstür auf. Er durchsuchte alle Räume, dann versperrte er die Tür. Er stellte das Gewehr ab. Die Fotos warf er auf die Couch. Er hatte nicht das Gefühl, am Vortag seiner Einbildung aufgesessen zu sein. Etwas war anders gewesen als sonst. Obwohl der Augenschein dagegen sprach und nahelegte, daß seine Phantasie überreizt war.
    Während er sich Shampoo ins Haar rieb, vermied er es, die Augen zu schließen, bis sie vom herabtropfenden Schaum brannten. Er hielt sich die Brause über das Gesicht. Mit fahrigen Bewegungen wischte er sich die Augenwinkel. Sein Herz schlug schneller.
    Seit einiger Zeit hatte er mit einem ungebetenen Gast zu kämpfen, wenn er beim Duschen die Augen zumachte. Auch diesmal tauchte in seiner Vorstellung das Vieh auf. Ein zotteliges, aufrecht gehendes Wesen von mehr als zwei Metern Größe, eine Mischung aus Wolf und Bär, von der er wußte, daß unter dem Pelz etwas anderes, noch weit Schlimmeres steckte. Jedesmal, wenn er die Augen zumachte, stieg in ihm die Furcht vor diesem Wesen auf, das herantanzte und ihn bedrohte. Es bewegte sich viel schneller als ein Mensch, auch schneller als jedes Tier, das er kannte. Es sprengte herbei, rüttelte an der Duschkabine, wollte sich auf ihn stürzen. So weit kam es aber nie. Weil er an dieser Stelle die Augen aufriß.
    Er blickte sich um. In der Ecke hörte er ein Knistern. Mit einem Aufschrei setzte er aus der Dusche. Seifenschaum auf der Haut, Shampoo im Haar, so stand er nackt auf dem Flur und starrte ins Badezimmer.
    »He! Bestimmt nicht! Ha, ha, ha!«
    Mit einem Handtuch aus dem Schlafzimmerschrank rieb er sich ab. Aber was tat er mit dem dick shampoonierten Haar? Unschlüssig lief er zwischen der Spüle in der Küche und dem Schuhschrank im Flur hin und her, ohne die Schwelle zum Badezimmer zu überschreiten.
    Er benahm sich töricht. Ein Knistern. Nichts weiter. Und das Wolfsvieh existierte nur in seiner Einbildung. Er konnte sich getrost mit geschlossenen Augen abduschen. Niemand bedrohte ihn.
    Die Tür war abgesperrt.
    Die Fenster waren geschlossen.
    Niemand versteckte sich im Schrank, niemand lauerte unter dem Bett.
    Niemand klebte an der Decke.
    Er stellte sich unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Er hielt den Kopf unter den Strahl. Er schloß die Augen.
    »Hey! Hahahaha! Na dann! Also bitte! So was aber auch! Halleluja!«
    Draußen dunkelte es, als er sich, in einen Bademantel gehüllt, im Wohnzimmer auf den Boden setzte und den Rücken gegen die Couch lehnte. Er duftete nach Duschbad. Er fühlte sich frisch.
    Er legte die Fotos vor sich auf den Teppich.
    Ingo Lüscher.
    Im Hinterkopf hatte er die ganze Zeit über die Frage gewälzt, wie der volle Name des Jungen lautete, über dem der Ring gekreist hatte. Auch nach dem Namen des unbekannten Jungen forschte er. Nun war ihm immerhin der Nachname des einen eingefallen. Sie hatten ihn gehänselt, er heiße wie ein Schweizer Skirennläufer, was Ingo als Sportpatrioten natürlich geärgert hatte. Jonas hatte ihn seit der Volksschulzeit nicht mehr gesehen. Leonhard hingegen hatte er erst am Anfang des Gymnasiums aus den Augen verloren, als sie verschiedenen Klassen zugeteilt worden waren.
    Seine Gedanken schweiften zurück zu dem, was er im Keller mit dem Pendel erlebt hatte. Er

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