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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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miteinander aus. Prüfte erneut, suchte nach einem überflüssigen dünnen Buch, legte es auf einen Stapel. Er schätzte die neue Höhe ab. Es paßte.
    Auf dem Schlitten schob er den ersten Teil des Bettes heran. Es war die ehemalige Bettseite seiner Mutter. Vorsichtig kippte er das klobige Gestell und ließ es herabsinken, so daß die Kante exakt auf der Mitte der Bücherblöcke zu liegen kam. Gleiches unternahm er unter noch größeren Anstrengungen mit der zweiten Seite. Er holte die Matratzen und legte sie auf.
    Erst zaghaft, dann stärker stemmte er sich auf das Bett. Als es wider Erwarten nicht zusammenbrach, streifte er die Schuhe ab und streckte sich auf den Matratzen aus.
    Geschafft. Die Nacht konnte kommen. Er würde nicht vor die Wahl gestellt sein, sich der Dunkelheit anzuvertrauen und nach Hause in die Brigittenauer Lände zu fahren oder aber hier auf dem Boden zu schlafen.
    Obwohl ihm vor Hunger flau im Magen war und das Tageslicht von Minute zu Minute matter wurde, arbeitete er gleich weiter. Möbelstück um Möbelstück wurde hereingerollt und an seinen Platz gestellt. Dabei war er nicht mehr so vorsichtig wie beim Einladen. Klirren und Rumpeln ertönte, hier blätterte Verputz von der Mauer, dort verunstalteten schwarze Streifen die Tapete. Es war ihm einerlei. Er achtete, daß zumindest nichts zerbrochen wurde. Schrammen gab es auch bei professionellen Umzügen.
    Zwei Bilder, drei Kameras und der Fernseher waren die letzte Fracht des Abends. Er steckte den Fernseher an. Er merkte, daß er Lust auf etwas hatte. Worauf, wußte er nicht. Er entwirrte Kabel, verband eine Kamera mit dem Fernseher. An der Fernbedienung mußte er einige Knöpfe drücken, bis der Bildschirm blau wurde und Bereitschaft anzeigte.
    Die Nacht kam. Entgegen seinen Hoffnungen hatten sich die Straßenlaternen nicht angeschaltet. Die Hände in die Hüften gestemmt, blickte er durch das Fenster auf den Lastwagen. Nur das schwache Summen der auf Stand-by geschalteten Kamera hinter ihm war zu hören.
    Schokolade.
    Er hatte rasenden Hunger, aber vor allem quälte ihn Lust auf Schokolade. Milchschokolade, Nußschokolade, Cremeschokolade, die Sorte war zweitrangig, selbst Kochschokolade war ihm recht. Hauptsache Schokolade.
    Der Hausflur war dunkel. Das Gewehr in der Hand, tappte er zum Lichtschalter. Als die trübe Birne an der Decke aufflammte, räusperte er sich und lachte rauh. Er rüttelte an der Tür zur Wohnung gegenüber. Abgeschlossen. Er versuchte es bei der nächsten. Als er die Klinke drückte, wurde ihm bewußt, daß dies die ehemalige Wohnung von Frau Bender war.
    »Hallo?«
    Er knipste Licht an. Im Hals fühlte er Druck. Er schluckte. Wie ein Schatten glitt er an den Wänden entlang. Er erkannte nichts wieder. Hier schienen junge Leute gelebt zu haben. An der Wand hingen Fotos von Filmstars. Die Videosammlung nahm zwei Schränke ein. Fernsehzeitschriften lagen herum. In der Ecke stand ein leeres Terrarium.
    Was er sah, war ihm fremd. Nur an den prächtigen Holzboden und an die Stukkaturen an der Decke erinnerte er sich.
    Staunend bemerkte er, daß Frau Benders Wohnung fast dreimal so groß gewesen war wie die seiner Familie.
    Schokolade fand er nicht, nur eine Sorte Kekse, die er nicht mochte. Ihm fiel der Lebensmittelladen zwei Straßen weiter ein. Als Kind hatte er bei Herrn Weber oft eingekauft. Sogar anschreiben lassen hatten sie dürfen. Später hatte der alte Herr mit den buschigen Augenbrauen das Geschäft aufgegeben. Wenn Jonas sich recht erinnerte, hatte es ein Ägypter übernommen, der orientalische Spezialitäten anbot. Vielleicht führte er ja trotzdem auch Schokolade.
    Die Luft auf der Straße war lau. Kein Wind blies, es war still. Im Halbdunkel blickte Jonas nach links und rechts. Als er losging, sträubten sich seine Nackenhaare. Er wollte umdrehen. Er nahm all seine Willenskraft zusammen und ging weiter.
    Der Laden war nicht abgesperrt. Es gab Schokolade. Neben den Konserven und Fertigsuppen führte das Geschäft auch Milch, Brot und Wurst, freilich war alles nicht mehr genießbar. Der Besitzer hatte mit fast allen Gütern des täglichen Bedarfs gehandelt. Nur Alkohol suchte Jonas vergeblich.
    Er lud einige Tafeln Schokolade in den rostigen Einkaufskorb. Dazu stellte er einige Dosen Bohnensuppe und eine Flasche Mineralwasser. Aufs Geratewohl zog er Süßigkeiten und Knabbergebäck aus den Regalen.
    Auf dem Rückweg war ihm der Einkaufskorb lästig. Er konnte nicht zugleich ihn tragen und das Gewehr

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