Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
Pfeffer, Estragon und andere Gewürze bereit, schnitt Gemüse klein, wässerte den Römertopf, heizte das Backrohr vor. Mit der Geflügelschere zerteilte er die Gans. Sie war noch nicht völlig aufgetaut, und er mußte Kraft anwenden. Er schnitt den Bauch auf, dann trennte er die Flügel ab. Er hatte nicht viel Geschick in der Küche, und bald war die Arbeitsfläche verwüstet.
    Er starrte auf die Keulen. Die Flügel. Den Bürzel.
    Er starrte in den Bauch.
    Er betrachtete die Gans, die vor ihm lag.
    Er lief zur Toilette und übergab sich.
    Nachdem er sich die Zähne geputzt und das Gesicht gewaschen hatte, zog er aus dem Schrank im Flur eine große Einkaufstüte. Ohne genau hinzusehen, ließ er die Gänseteile vom Brett in die Tüte gleiten. Diese warf er in eine Nachbarwohnung.
    Er schaltete das Backrohr aus. Sein Blick fiel auf das vorbereitete Gemüse. Er steckte sich eine Karotte in den Mund. Er fühlte sich müde. Als hätte er tagelang nicht geschlafen.
    Er sank auf die Couch. Gern hätte er noch die Tür kontrolliert. Er versuchte sich zu erinnern. Er war sich ziemlich sicher, abgeschlossen zu haben.
    So matt. So müde.
    Aus wirren, häßlichen Bildern schrak er hoch. Es war nach sieben. Er sprang auf. Er mußte Dinge erledigen, er hatte nicht zu schlafen.
    Beim Packen tapste er wie ein Schlafwandler durch die Räume. Wenn er zwei Stücke brauchte, die nebeneinanderlagen, nahm er eines und ließ das andere an seinem Platz. Sobald er das Versäumnis bemerkte, ging er zurück, doch nun fiel ihm etwas anderes ein, und der Gegenstand mußte weiter warten.
    Dennoch war er nach einer halben Stunde fertig. Er brauchte ja nicht viel. T-Shirts, Unterhosen, Saft, ein wenig Obst und Gemüse, Leerkassetten, Anschlußkabel. Er ging in die verlassene Nachbarwohnung, wohin er die Kameras nach der Fahrt wieder gebracht hatte. Wählte fünf aus, entnahm ihnen die Kassetten, die er mit der Nummer der Kamera beschriftete.
    Während der Fahrt in die Hollandstraße erinnerte er sich an den Traum aus seinem Nachmittagsschlaf. Eine Handlung hatte er nicht gehabt. Immer wieder war ihm ein halber Kopf oder ein Mund erschienen. Ein geöffneter Mund, dessen Besonderheit darin bestand, daß er keine Zähne hatte. An den Stellen, an denen gewöhnlich Zähne aus dem Zahnfleisch ragten, steckten Zigarettenstummel. Fortwährend war dieser Mund vor ihm aufgetaucht, weit geöffnet, mit gleichförmigen Reihen von Zigarettenstummeln. Gesprochen wurde nichts. Die Stimmung war kühl und leer gewesen.
    Der Lkw stand vor dem Haus. Jonas hielt einige Meter weiter, damit der Spider nicht die Arbeit behinderte. Er warf sich die Reisetasche über die Schulter und packte zwei Kameras.
    Die Luft in der Elternwohnung war abgestanden. Seine Schritte hallten wider, als er über den alten Holzboden zu den Fenstern ging. Eines nach dem anderen öffnete er.
    Frische, warme Abendluft drang ins Zimmer. Auf das Fensterbrett gestützt, schaute er hinaus. Der Lastwagen versperrte ihm die Sicht auf die Straße. Es störte ihn nicht. Ihn erfüllte ein Gefühl von Vertrautheit. Hier war er schon als kleines Kind gestanden, eine Kiste unter den Füßen, um auf die Straße hinausschauen zu können. Er kannte das Loch im Fensterblech, den vergitterten Kanal neben dem Bordstein, die Farbe des Pflasters.
    Er richtete sich wieder auf. Er hatte es eilig.
    Im Hausflur legte Jonas Bretter auf die kurze Treppe, die zu den Wohnungen im Erdgeschoß führte. Über diese Rampe rollte er auf dem Schlitten zuallererst die zwei Teile des Bettes. Er lehnte sie gegen die Wand.
    Ohne Hilfsmittel würde er das Bett nicht mehr aufstellen können. Gewiß, er konnte versuchen, die Teile wieder zusammenzuleimen, aber das würde vermutlich nicht halten, wenn er sich hineinlegte. So holte er aus dem Lkw einige Holzblöcke, die er eigens dafür an einer Baustelle eingesammelt hatte. Besorgt blickte er auf der Straße zum Himmel. Bald würde es dämmern.
    Er stellte die Blöcke auf. Sie waren nicht gleich hoch. Er lief wieder hinaus und kehrte mit einem Bücherkarton zurück. Die ersten drei Bände, die er ihm entnahm, waren wertvoll. Er erinnerte sich sogar, wo im braunen Regal sie genau gestanden hatten. Bei den nächsten sechs handelte es sich um Wälzer über den Zweiten Weltkrieg, die sein Vater nach dem Tod der Mutter zusammengetragen hatte. Sie waren verzichtbar.
    Zwei stapelte er auf den kleinsten der Blöcke. Die anderen Bücher verteilte er. Er prüfte die Höhe. Tauschte zwei Bücher

Weitere Kostenlose Bücher