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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Wasser entzündliche Gase entwickelten. Auch war nicht auszuschließen, daß es sich gar um eine Sprengstoffart handelte, die bei Kontakt mit Wasser explodierte. Er mußte es darauf ankommen lassen.
    Er brauste den Staub und Schmutz ab, der an dem Objekt klebte. Es war tatsächlich aus Plastik. Es sah aus wie ein Regenmantel. Er wischte sich die Stirn. Dasselbe Tuch benützte er, um das Plastik trockenzureiben. Er hob den Gegenstand hoch und breitete ihn aus.
    Es war kein Regenmantel. Es war eine aufblasbare Puppe. Der es, er schaute genau, allerdings an den Öffnungen mangelte, die sie als Sexartikel identifiziert hätten.
    Er stellte die zwei Reisekoffer neben dem Spider ab. Die Karosserie sorgfältig betrachtend, umrundete er das Fahrzeug. Nun konnte er sich den enormen Schaden an der Vorderseite erklären. Nach diesem Unfall war es ein Wunder, daß der Wagen noch fuhr.
    Ehe er das Gepäck einlud, untersuchte er den Kofferraum auf das gewissenhafteste. Nur der Verbandskasten und das Brecheisen lagen darin. Was er nach der Kollision hier getan haben sollte, blieb unergründbar.
    Er kontrollierte den Kilometerstand. Die Zahlen verglich er mit jenen, die er am Vortag in sein Notizheft geschrieben hatte. Sie stimmten überein.
    In der Elternwohnung stellte er fest, daß er zuwenig Platz hatte. Sein eigener Schrank, in dem er als Kind seine Wäsche aufbewahrt hatte, war vor Jahren auf dem Sperrmüll gelandet. Er mußte die Koffer unausgeräumt im ehemaligen Kinderzimmer lagern, bis er Zeit fand, einen zusätzlichen Kleiderkasten zu besorgen. Den er ebenfalls nebenan aufstellen wollte. Das Wohnzimmer nämlich war nun so wie in seiner Kindheit, und jedes fremde Möbelstück würde stören.
    Dunkel erinnerte er sich, daß sie früher manches auf dem Speicher aufbewahrt hatten, weil es in diesem Haus keine Kellerabteile gab. Er war in seiner Kindheit zum letztenmal oben gewesen.
    Aus der Wohnung holte er den Schlüsselbund, den Familie Kästner hinterlassen hatte, sowie die Taschenlampe. Auch das Gewehr nahm er mit. Einen Lift gab es nicht. Als Jonas im fünften Stock ankam, war er kaum außer Atem. Wenigstens hatte seine Kondition noch nicht nachgelassen.
    Die schwere Tür knarrte. Ein kühler Luftzug schlug ihm entgegen. Der Lichtschalter war so mit Staub und Spinnweben bedeckt, daß Jonas vermutete, seit Jahren der erste auf dem Speicher zu sein. Im Schein der Glühbirne, die nackt von einem Dachbalken hing, blickte er sich um.
    Abteile gab es keine. In drei Metern Höhe waren auf die Querbalken des Dachstuhls mit weißer Wandfarbe Nummern gemalt, die den Raum darunter als der jeweiligen Wohnung zugehörig bezeichneten. In einer Ecke lag ein Fahrradgestell ohne Räder und ohne Kette. Ein paar Meter daneben lag ein Stapel von Gipssäcken. In einer anderen Ecke lehnten zerbrochene Latten. Auch einen Fernseher ohne Bildschirm entdeckte er.
    Auf dem Platz unter der Nummer der Elternwohnung stand eine schwere Truhe. Sofort wußte Jonas, daß sie nicht den Kästners gehört hatte, sondern seinem Vater. Nichts wies darauf hin, es hing kein Namensschild daran, und er erkannte sie nicht. Dennoch wußte er es. Sie hatte mit Sicherheit seinem Vater gehört.
    Als er sie öffnen wollte, stellte er fest, daß sie kein Schloß hatte und keinen Griff.
    Er suchte an allen Seiten. Seine Hände wurden schmutzig. Er klopfte sie an den Hosenbeinen ab und verzog das Gesicht. Dann winkte er ab.
    Er ging wieder nach unten. Platz für die Schachteln gab es auf dem Speicher jedenfalls genug. Doch ehe er sie hinauftransportierte, wollte er den gesamten Inhalt sichten. So lagerte er sie einstweilen in einer der Nachbarwohnungen.
    Ihm kam der Gedanke, sie gleich dort zu belassen. Hier war es sauberer, und er hatte nicht weit zu laufen, wenn er etwas brauchte. Doch er hielt sich an das, was er sich vorgenommen hatte. Soweit wie möglich Ordnung herzustellen und zu wahren. Diese Schachteln gehörten nicht in diese Wohnung, denn sie hatten nichts mit ihr gemein. Sehr wohl aber mit dem für die Elternwohnung reservierten Platz auf dem Speicher.
    Wind war wieder aufgekommen. Auf dem Karmelitermarkt trieben Dutzende Plastik- und Papiertüten, die aus einem der Gemüsestände gerutscht sein mußten, knisternd über den Platz. Jonas bekam ein Staubkorn ins Auge. Es begann zu tränen.
    In einem Gasthaus, das einladend wirkte, machte er sich ein schnelles Gericht. Dann ging er wieder durch die Straßen. Seit seiner Jugend hatte sich im Bezirk viel

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