Die Arche
Interesse an mir
– an uns – war so groß, dass man sich
zwangsläufig auch für dich interessieren musste.]
Volyova wollte abermals an die Tür hämmern, hinter der
das Weltraumgeschütz sie eingesperrt hatte, musste aber
feststellen, dass sich ihr Arm nicht heben wollte. Sie konnte zwar
noch atmen, aber sonst war sie gelähmt. Und die Präsenz,
wer sie auch sein mochte, lauerte weiter unmittelbar hinter ihr und
sah ihr gleichsam über die Schulter.
Wer… Ihre Unwissenheit löste eine Welle der
Schadenfreude aus, die sie erschreckte.
[Die Unterpersönlichkeit dieses Geschützes, wer
sonst? Du kannst mich Siebzehn nennen. Für wen hättest du
mich denn gehalten?]
Du sprichst Russisch.
[Ich weiß doch, welche Sprachfilter du bevorzugst.
Russisch ist nicht schwer. Eine alte Sprache. Sie hat sich nicht sehr
verändert, seit wir gebaut wurden.]
Warum… jetzt?
[Du bist noch nie so tief vorgedrungen, Ilia.]
O… doch. Beinahe.
[Mag sein. Aber nie unter ganz den gleichen Umständen.
Nie mit so viel Angst, bevor du überhaupt begonnen hattest. Du
bist wirklich verzweifelt, nicht wahr? Der Wunsch, uns einzusetzen,
war noch nie zuvor so stark.]
Sie spürte trotz der Lähmung, wie ihr Entsetzen ein
klein wenig nachließ. Die Präsenz war also nur ein
Computerprogramm. Sie hatte einfach einen Bereich im Kontrollsystem
des Geschützes berührt, auf den sie bisher noch nie gezielt
zugegriffen hatte. Obwohl die Präsenz eine geradezu satanische
Bosheit um sich verbreitete, war dies – wie die Paralyse –
offensichtlich nur eine höhere Stufe der bereits bekannten
mechanisch erzeugten Angst.
Doch wie schaffte es das Geschütz, mit ihr zu sprechen? Sie
hatte keine Implantate, und doch hörte sie die Stimme direkt in
ihrem Kopf. Es gab nur eine Erklärung. Der Raum, in dem sie sich
befand, stimulierte wie ein inverser Hochleistungs-Trawl mit starken
Magnetfeldern bestimmte Regionen ihres Gehirns. Wenn dieser Trawl so
gezielt Entsetzen auslösen konnte, fiel es ihm vermutlich auch
nicht schwer, ihren Hörnerv oder, wahrscheinlicher, ihr
Hörzentrum so zu reizen, dass sie Geisterstimmen hörte, und
die neuralen Impulse aufzufangen, die jede Sprechabsicht
begleiteten.
Die Situation ist verzweifelt…
[So scheint es.]
Wer hat euch gebaut?
Darauf gab Siebzehn nicht gleich eine Antwort. Für einen
Moment verschwand die Angst, und an die Stelle des neuralen Banns
trat eine tiefe Ruhe, ein Atemholen zwischen zwei
Schmerzensschreien.
[Das wissen wir nicht.]
Nein?
[Nein. Man wollte nicht, dass wir es wissen.]
Volyova ordnete ihre Gedanken so sorgfältig, als stelle sie
schwere Ziergegenstände auf ein wackeliges Regal. Ich glaube,
die Synthetiker haben euch gebaut. Das ist meine Arbeitshypothese,
und du hast mir bisher nichts gesagt, was mich veranlassen
könnte, sie in Frage zu stellen.
[Wer uns gebaut hat, spielt doch keine Rolle! Jedenfalls jetzt
nicht mehr.]
Wahrscheinlich nicht. Ich wüsste es zwar gern, aber das
ist reine Neugier. Viel wichtiger ist, dass du noch intakt bist und
mir zu Diensten sein kannst.
Das Geschütz reizte den Teil ihres Gehirns, der Belustigung
wahrnahm. [Dir zu Diensten sein, Ilia? Wie kommst du denn auf die
Idee?]
Du hast in der Vergangenheit getan, was ich von dir
verlangt habe. Nicht du speziell, Siebzehn – von dir habe ich
nie etwas verlangt –, aber die anderen Waffensysteme haben
meinen Befehlen immer gehorcht.
[Wir haben dir nicht gehorcht, Ilia.]
Nein?
[Nein. Wir haben dir nachgegeben. Es hat uns Spaß
gemacht, dir deinen Willen zu tun. Das mag oft so ausgesehen haben,
als befolgten wir deine Befehle – aber nur für
dich.]
Das sagst du jetzt nur so.
[Nein. Du musst wissen, Ilia, unser unbekannter Erbauer
stattete uns mit einem gewissen Maß an Willensfreiheit aus.
Dafür hatte er sicher einen Grund. Vielleicht wollte er, dass
wir auch autonom handeln oder uns aus lückenhaften oder
unverständlichen Befehlen eine eigene Strategie zusammensetzen
konnten. Wir wurden wohl für apokalyptische Verhältnisse
geschaffen, als letztes Mittel, wenn alles andere versagte. Als
Endzeitwaffen.]
Das seid ihr immer noch.
[Und jetzt ist die Endzeit gekommen, Ilia?]
Ich weiß es nicht. Aber ich halte es für
möglich.
[Ich spürte, dass du bereits Angst hattest, bevor du
hierher kamst. Wir alle spüren das. Was willst du denn nun
wirklich von uns, Ilia?]
Wir haben ein Problem, das ihr vielleicht lösen
müsst.
[Ein lokales Problem?]
Ein Problem in diesem System. Ihr müsstet
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