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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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deutete auf die Kartenkonfiguration. Die Zahl der
Permutationen ist endlich. Dein einziger Gegner ist der blinde
Zufall. Ich verstehe nicht, was dich daran so fasziniert.
    »Wie könntest du auch?«
    Wieder hörte Skade das leise Scharren der Karten. Was ist
das Ziel, Felka?
    »Ordnung zu halten.«
    Skade lachte kurz auf. Dann gibt es keinen Endzustand?
    »Das ist kein Rechenproblem, Skade. Der Weg ist das Ziel. Das
Spiel kennt keinen Haltezustand, es kann nur scheitern.« Felka
biss sich auf die Zungenspitze wie ein Kind beim Ausmalen eines
besonders kniffligen Bildes, und verschob mit fliegenden Händen
sechs Karten. Das Gesamtbild veränderte sich so dramatisch, wie
Skade es noch einen Augenblick zuvor nicht für möglich
gehalten hätte.
    Sie verstand und nickte. Das ist die Große Marsmauer,
richtig?
    Felka blickte kurz auf und kehrte ohne ein Wort zu ihrer
Beschäftigung zurück.
    Skade wusste, dass sie Recht hatte: Felkas Spiel, falls von einem
Spiel die Rede sein konnte, war nur ein Ersatz. Die echte Mauer war
vierhundert Jahre zuvor zerstört worden, doch sie hatte in
Felkas Kindheit eine so wichtige Rolle gespielt, dass die
Synthetikerin beim kleinsten Anlass von außen in ihre
Erinnerungen zurückfiel.
    Skade packte der Zorn. Sie kniete abermals nieder und
zerstörte das Muster. Felkas Hand erstarrte über der
Stelle, wo eben noch eine Karte gewesen war, und sie sah Skade
verständnislos an.
    Felka neigte manchmal dazu, eine Frage rundheraus und ohne
Betonung als Aussage zu formulieren. Das tat sie auch jetzt:
»Warum?«
    Hör mir zu, Felka. Du darfst das nicht tun. Du bist jetzt
eine von uns. Du kannst dich nicht in deine Kindheit flüchten,
nur weil Clavain nicht mehr da ist.
    Felka bemühte sich, die Karten wieder einzusammeln. Es war
Mitleid erregend. Doch Skade fasste nach ihrer Hand und hielt sie
fest.
    Nein. Hör auf damit, Felka. Du darfst nicht
zurückfallen. Ich verbiete es dir. Sie zog Felkas Gesicht zu
sich heran. Hier geht es nicht nur um Clavain, Felka. Ich
weiß, dass er dir viel bedeutet. Aber das Mutternest ist
wichtiger. Clavain war immer ein Außenseiter. Aber du bist eine
von uns, durch und durch. Wir brauchen dich, Felka. So, wie du jetzt
bist, nicht wie du damals warst.
    Doch als sie losließ, schaute Felka zu Boden. Skade stand
auf und trat zurück. Sie wusste, dass sie grausam gewesen war.
Aber Clavain hätte nicht anders gehandelt, hätte er Felka
bei einer solchen Regression in die Kindheit ertappt. Die Mauer war
ein blinder Gott, der ihr noch in der Erinnerung die Seele
aussaugte.
    Felka begann, die Karten von neuem auszulegen.
    * * *
    Sie schob Galianas Tank durch die leeren Gänge der Nachtschatten. Ihre Rüstung setzte vorsichtig und
würdevoll einen Fuß vor den anderen. Bei jedem klirrenden
Schritt winselten die Gyroskope. Sie hatten Mühe, unter der
veränderten Beschleunigung das Gleichgewicht zu halten. Ihr
Schädel presste die Halswirbel ihres durchtrennten
Rückgrats brutal zusammen. Die Zunge lag ihr wie ein träger
Muskelklumpen im Mund. Ihr Gesicht hatte sich verändert, die
Haut spannte sich wie von unsichtbaren Fäden gezogen über
die Wangenknochen. Die leichte Verzerrung des Blickfeldes verriet,
dass die Schwerkraft auch auf ihre Augäpfel wirkte.
    Das Schiff hatte nur noch ein Viertel seiner Masse. Der Rest wurde
unterdrückt. Die Blase hatte die ganze hintere Hälfte des
Schiffs verschlungen.
    Sie flogen inzwischen mit einer Dauerbeschleunigung von vier
Ge.
    Skade betrat die Blase nur noch selten: die physiologischen
Auswirkungen waren einfach zu belastend, auch wenn die Rüstung
vieles abfing. Die Grenze war nicht scharf gezogen, doch jenseits
einer unsichtbaren Linie fiel die Feldwirkung so unvermittelt ab,
dass sie kaum noch messbar war. Die Feldgeometrie war auch nicht
sphärisch symmetrisch, sondern von Einschlüssen und
Haarnadelkurven, von Kammern und Spalten durchsetzt, in denen die
Wirkung im Zusammenspiel mit anderen Variablen stärker oder
schwächer wurde. Die seltsame Topologie zwang ihre Struktur auch
dem Feld auf. Wenn sich die Anlage bewegte, was unvermeidlich war,
veränderte sich auch das Feld. Doch manchmal hatte es ganz im
Gegenteil den Anschein, als bewege das Feld die Anlage. Die Techniker
taten zwar so, als verstünden sie alles, was vorging, doch in
Wirklichkeit hatten sie nur ein System von Regeln, mit dem sie
vorhersagen konnten, was unter bestimmten Bedingungen geschehen
würde. Doch diese Regeln waren nur innerhalb eines

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