Die Arche
eigenen Leibe
erfahren, wie groß die Gefahr tatsächlich war. Bei einem
Unglücksfall war aus einer Asteroiden-Hemisphäre ein
gewaltiger Brocken herausgerissen und der ganze Stützpunkt
zerstört worden.
Jastrusiak war also tot – und das schon seit vielen
Jahren.
Hätte er noch gelebt, dachte Skade, er wäre genau der
Mann gewesen, den sie sich in ihr Expertenteam für die Arbeit an
der Nachtschatten geholt hätte. Wahrscheinlich hätte
er gut zu Molenka gepasst und irgendwann mit ihr
zusammengearbeitet.
Was hatte das zu bedeuten? Vermutlich nur ein unglücklicher
Zufall, nicht mehr.
Molenka rief nach ihr. [Wir sind so weit, Skade. Wir
können das Experiment wiederholen.]
Skade zögerte. Sie wollte ihr schon erzählen, dass sie
die Wahrheit über Jastrusiak herausgefunden hätte. Doch
dann entschied sie sich dagegen. Dann los!, gab sie
zurück.
* * *
Die Maschinen setzten sich in Bewegung. Die gekrümmten
schwarzen Arme schwenkten nicht nur hin und her, sondern schienen
sich auch zu durchdringen. Zeit und Raum wurden miteinander
verknüpft und festgeklopft wie auf einem höllischen
Webstuhl, und schließlich schaukelte das bakteriengroße
Pünktchen veränderter Metrik in die tachyonische Phase.
Binnen weniger Sekunden verwirbelte die Anlage hinter der Nachtschatten zu einem verschwommenen Fleck. Die Sensoren
für Gravitationswellen und exotische Teilchen registrierten
Schübe von starken Raumverzerrungen. Das Quantenvakuum an der
Grenze der Blase verdichtete und verformte sich im mikroskopischen
Bereich. Das Muster dieser Schübe, von Computern isoliert und
verarbeitet, verriet Molenka, wie sich die Blasengeometrie verhielt.
Sie übertrug diese Daten an Skade und zeigte ihr die Blase als
leuchtende Kugel, pulsierend und zitternd wie ein Quecksilbertropfen
in einer Magnetmulde. Stellvertretend für obskure
Wechselwirkungen innerhalb des Quantenvakuums liefen Wellen von
prismatischen Farben, nicht alle innerhalb des normalen menschlichen
Spektrums, über die Außenhaut. Das alles war für
Skade nicht von Belang, sie interessierte sich nur für die
Indices, denen sie entnehmen konnte, ob sich die Blase normal
verhielt – jedenfalls soweit man das bei einem Phänomen
erwarten konnte, das eigentlich in diesem Universum keine
Existenzberechtigung hatte. Als Teilchen von Hawking-Strahlung in den
tachyonischen Zustand gerissen wurden und sich mit
Überlichtgeschwindigkeit von der Nachtschatten entfernten, gab die Blase einen sanften bläulichen Schein
ab.
Molenka signalisierte, sie könne die Blase nun erweitern und
die ganze Nachtschatten mit einer Sphäre tachyonischer
Raumzeit umschließen. Das würde blitzschnell gehen, und
das Feld würde in Pikosekunden subjektiver Zeit wieder in
mikroskopische Dimensionen zurückfallen, aber dieser Augenblick
der Stabilität würde ausreichen, um Skades Schiff um eine
Lichtnanosekunde, etwa ein Drittel Meter, im Raum zu versetzen. Man
hatte schon im Vorfeld Einwegsonden jenseits des erwarteten
Blasenradius postiert, um den Moment einzufangen, wenn das Schiff in
die tachyonische Phase überwechselte. Ein Drittel Meter war
natürlich zu wenig, um Clavain abzuhängen, aber im Prinzip
konnte man die Dauer des Sprungs verlängern und ihn
außerdem unmittelbar darauf wiederholen. Der erste Versuch
wäre bei weitem der schwierigste; danach ginge es nur noch um
die Feinjustierung.
Skade gab die Erlaubnis zur Erweiterung der Blase. Zugleich befahl
sie ihren Implantaten, ihre Denkprozesse maximal zu beschleunigen.
Alle normalen Schiffsbewegungen bildeten einen fast statischen
Hintergrund; sogar die schwarzen Arme waren so stark verlangsamt,
dass sie ihren hypnotischen Tanz deutlich verfolgen konnte. Skade
analysierte ihren Gemütszustand. Gespannte Erwartung mischte
sich mit der kreatürlichen Angst davor, einen schweren Fehler zu
begehen. Sie erinnerte sich an die Bemerkung des Wolfes, nur wenige
Organismen hätten sich jemals schneller als das Licht bewegt.
Unter anderen Umständen hätte sie die verhüllte
Warnung vielleicht beachtet, doch der Wolf hatte sie noch im gleichen
Atemzug dazu angestachelt, das Wagnis einzugehen. Bei der
Entschlüsselung der Exordium-Anweisungen hatte er unentbehrliche
technische Hilfe geleistet, und Skade setzte voraus, dass auch er
einen gewissen Selbsterhaltungstrieb besaß. Aber vielleicht
genoss er es auch nur, sie in Konflikte zu stürzen, und sein
eigenes Schicksal kümmerte ihn nicht.
Die Frage war müßig. Die Entscheidung war
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