Die Arche
sich noch fester zusammen.
[Hilf mir, Skade. Ich bekomme keine Luft.]
Ich kann nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Die Membran spannte sich noch straffer über Molenkas Haut.
Die Atemnot verschlimmerte sich. Ein normales Gespräch wäre
bereits unmöglich gewesen, aber die automatischen Routinen in
ihrem Kopf hatten begonnen, nicht lebenswichtige Teile ihres Gehirns
abzuschalten, um Lebenskraft zu sparen und aus ihrem letzten Atemzug
drei oder vier Minuten Bewusstsein herauszupressen. [Hilf mir
doch. Bitte…]
Die Membran zog sich noch fester zusammen. Skade konnte sich nicht
abwenden. Sie musste zusehen, wie Molenka zermalmt wurde. Ihr Schmerz
strömte durch die Neuralverbindung und erfüllte Skades
Bewusstsein bis in den letzten Winkel: kein rationaler Gedanke fand
mehr Raum. Sie streckte die Hand aus, eine hilflose Geste, aus
Verzweiflung geboren, nur um irgendetwas zu tun. Ihre Finger
streiften die Oberfläche der Membran. Der Kontakt beschleunigte
nur den Schrumpfungsprozess. Die Neuralverbindung wurde immer
schwächer. Die Membran erdrückte Molenka langsam bei
lebendigem Leibe und zerstörte dabei auch das zarte Netz von
Synthetiker-Implantaten in ihrem Schädel.
Der Prozess kam kurz zum Stillstand, dann erzitterte die Membran
und schrumpfte mit erschreckender Geschwindigkeit weiter. Als Molenka
nur noch drei Viertel ihrer normalen Größe hatte,
färbte sich ihre Gestalt hinter dem Schleier rot. Skade
spürte den schrillen Schrei der Neuralamputation, bevor ihre
eigenen Implantate den Kontakt unterbrachen. Molenka war tot, doch
ihre Gestalt behielt ihr menschliches Aussehen, während sie
immer kleiner wurde. Eine Schneiderbüste, eine Grauen erregende
Marionette, eine Puppe, ein daumengroßes Figürchen. Dann
endlich verschwammen die Konturen, der Inhalt der Blase wurde
flüssig. Die Kontraktion kam zum Stillstand, die milchige
Hülle verfestigte sich.
Skade streckte die Hand aus und umschloss das murmelgroße
Gebilde, das einmal Molenka gewesen war, mit den Fingern. Sie musste
es im Vakuum entsorgen, bevor das Feld noch weiter schrumpfte. Die
Materie im Innern der Membran – die Materie, die einmal Molenka
gewesen war – stand bereits unter unvorstellbarem Druck, und sie
wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen könnte, sollte sie
spontan expandieren.
Sie zog an der Murmel, aber die war so schwer beweglich, als
wäre sie genau an diesem Punkt in Raum und Zeit
festgeschweißt. Erst als ihre Rüstung die Kraft
verstärkte, ließ sich die Murmel heranholen. Sie enthielt
Molenkas gesamte träge Masse, vielleicht noch mehr, und war
ebenso schwierig aufzuhalten oder zu steuern wie ein menschlicher
Körper.
Mühsam schleppte sich Skade damit zur nächsten
Luftschleuse.
* * *
Die Schraube des alten Projektionssystems kam auf Touren. Clavain
beobachtete, die Hände um das Geländer gelegt, wie im
Innern des Zylinders ein verschwommenes Gebilde entstand. Es
ähnelte einem zertretenen Käfer, dem auf einer Seite ein
Knäuel von weichen Eingeweideschnüren unter dem harten
schwarzen Panzer hervorquoll.
»Sie läuft uns so schnell nicht weg«, sagte
Scorpio.
»Wie ein toter Fisch im Wasser«, nickte Antoinette Bax.
Dann pfiff sie durch die Zähne. »Das Schiff schwebt
antriebslos wie ein Stein im All. Verdammter Mist. Was glauben Sie,
was ihm zugestoßen ist?«
»Etwas Schlimmes, aber keine Katastrophe«, sagte Clavain
ruhig, »sonst könnten wir nichts mehr davon sehen. Scorp,
kannst du es näher heranholen und den hinteren Abschnitt
vergrößern? Es sieht so aus, als wäre dort etwas zu
erkennen.«
Scorpio bediente die Rumpfkameras, die auf das treibende
Raumschiff gerichtet waren, während sie mit einer
Geschwindigkeitsdifferenz von mehr als tausend Kilometern pro Sekunde
daran vorbeirasten. Nur eine Stunde lang würden sie
tatsächlich in Schussweite sein. Dabei beschleunigte die Zodiakallicht momentan nicht einmal; die
Trägheitsunterdrückungssysteme waren abgeschaltet, ebenso
die Triebwerke. Der Wohnbereich des Lichtschiffs war mit großen
Schwungrädern auf ein Ge zentrifugaler Schwerkraft gebracht
worden. Clavain genoss es, sich nicht bei jedem Schritt zentnerschwer
zu fühlen oder ein Exoskelett tragen zu müssen, und noch
besser war es, nicht mehr den belastenden physiologischen Wirkungen
des Trägheitsunterdrückungsfelds ausgesetzt zu sein.
»So«, sagte Scorpio, als er mit den Einstellungen fertig
war. »Schärfer werden wir es nicht bekommen,
Clavain.«
»Danke.«
Remontoire,
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