Die Arche
nicht darauf
eingerichtet, durch Rotation künstlich Schwerkraft zu
erzeugen.
Molenka?
Sie bekam keine Antwort. Das Bordnetz war zusammengebrochen, und
damit war neurale Kommunikation nur noch möglich, wenn die
beiden Partner einander sehr nahe waren. Aber Skade wusste, wo sich
Molenka vor dem unkontrollierten Anschwellen der Blase aufgehalten
hatte. Als auch auf lautes Rufen keine Reaktion erfolgte, machte sie
sich auf den Weg zur Anlage. Der kritische Bereich war immer noch
belüftet, aber es bedurfte einiger Überredung, bis sich die
inneren Türen bereit fanden, sie einzulassen.
Die Anlage mit ihren glänzend schwarzen Oberflächen und
den fremdartigen Wölbungen hatte sich verändert, seit Skade
zum letzten Mal in diesem Teil des Schiffes gewesen war. Sie fragte
sich, inwieweit die Umgestaltungen durch das Scheitern der
Blasenexpansion bedingt waren. Stechender Ozongeruch und ein Dutzend
weniger bekannter Düfte hingen in der Luft, und in das
anhaltende Sirenengeheul und die warnenden Stimmen mischte sich ein
scharfes Knistern.
»Molenka?«, rief sie wieder.
[Skade.] Die neurale Stimme klang unglaublich schwach,
aber sie gehörte eindeutig Molenka. Sie musste jetzt ganz nahe
sein.
Skade zog sich mit steifen Bewegungen Hand über Hand weiter.
Die Anlage war überall, glatte schwarze Simse und Ausbuchtungen
wie Felsformationen, die das Wasser in einer uralten unterirdischen
Höhle ausgewaschen hatte. Dann weitete sie sich, und Skade
betrat einen Raum mit einem Durchmesser von etwa fünf bis sechs
Metern. Die unregelmäßigen Wände waren
übersät mit Anschlüssen für die Dateneingabe.
Durch ein Fenster in der hinteren Wand sah sie die
verstümmelten, verbogenen Teile der Abschirmung aus dem Heck
ihres Schiffes ragen. Einige der Arme zuckten immer noch träge
hin und her wie die Gliedmaßen eines Tieres, das in den letzten
Zügen lag. Mit bloßem Auge betrachtet, waren die
Schäden viel schlimmer, als sie bisher gedacht hatte. Ihr Schiff
sah aus, als hätte man ihm die Eingeweide herausgerissen.
Doch dann zog etwas anderes Skades Aufmerksamkeit auf sich. Etwa
in der Mitte des Raumes schwebte ein milchig trüber Sack, dessen
Inhalt sich bewegte und dabei immer wieder kurz sichtbar wurde und
wieder verschwand. Der Sack hatte fünf Spitzen, stumpfe
Scheinfüßchen, die in Proportionen und Verteilung an Kopf
und Gliedmaßen eines Menschen erinnerten. Skade begriff, dass
hinter der Membran tatsächlich ein Mensch war, sie sah ihn nur
nicht als Ganzes, sondern als Sammelsurium von verschiedenen Teilen,
ein Gewoge aus dunkler Kleidung und hellem Fleisch.
Molenka?
Sie war nur wenige Meter entfernt, aber die Antwort kam wie aus
weiter Ferne.
[Ja. Ich bin es. Ich bin gefangen, Skade. Gefangen in einem
Teil der Blase.]
Skade erschauerte. Die Ruhe der Frau war beeindruckend. Obwohl sie
dem Tod ins Auge sah, beschrieb sie ihre Lage mit bewundernswerter
Gelassenheit. Sie verhielt sich wie eine wahre Synthetikerin, die
überzeugt war, dass sie im alles umfassenden Bewusstsein des
Mutternestes weiterleben würde und der physische Tod nur der
Entfernung eines unwesentlichen Randelements aus einem bedeutenden
Ganzen entsprach. Aber, so erinnerte Skade sich selbst, sie waren
jetzt weit vom Mutternest entfernt. Die Blase, Molenka?
[Sie hat sich geteilt, als sie durch das Schiff ging. Und sie
hat sich so zielstrebig an mich geheftet, als suche sie nach
jemandem, den sie umhüllen, den sie in sich einbetten
könnte.] Das Ding mit den fünf Spitzen zuckte Ekel
erregend, ein Zeichen für eine bedenkliche Instabilität
unmittelbar vor dem Zusammenbruch.
In welchem Zustand bist du, Molenka?
[Es muss Zustand Eins sein, Skade… ich fühle mich
nicht anders als sonst. Nur eingesperrt… und fern. Sehr,
sehr fern.] Das Blasenfragment zog sich zusammen, wie Molenka
vorhergesagt hatte. Die körperförmige Membran schrumpfte,
bis sie sich wie eine zweite Haut um Molenkas Gestalt schmiegte.
Für einen grauenvollen Moment sah sie aus wie früher, nur
von einem schillernden Perlmuttschleier umgeben. Skade gab sich schon
der Hoffnung hin, die Blase würde genau in diesem Moment
kollabieren und Molenka freigeben. Doch zugleich war ihr klar, dass
das nicht geschehen würde.
Wieder durchlief ein Zittern die Blase, ein krampfhaftes Zucken.
Molenkas Züge – sie waren jetzt gut zu erkennen –
erstarrten vor Schreck. Durch die Neuralverbindung spürte Skade
ihre Angst. Molenka wusste, wie es um sie stand. Der schillernde
Schleier zog
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