Die Arche
Sprengköpfen
hochgegangen, danach die Synthetiker-Triebwerke selbst. Es hatte
sicher keine Vorwarnung gegeben und war sofort vorbei gewesen.
Auch an Galiana dachte er. Skade hatte darauf gesetzt, dass er das
Schiff niemals angreifen würde, wenn er wüsste oder auch
nur vermutete, dass sie an Bord war.
Und vielleicht hatte sie damit sogar Recht gehabt.
Aber Felka hatte ihn überzeugt, dass er es tun musste. Sie
allein war in Galianas Bewusstsein eingedrungen und hatte
gespürt, wie sie unter der Präsenz des Wolfes litt. Sie
allein hatte Clavain ihre einzige, simple Botschaft überbringen
können.
Töte mich!
Also hatte er es getan.
Als er das volle Ausmaß seiner Tat erkannte, brach er in
Tränen aus. Bis zu diesem Augenblick hatte immer noch eine
winzige Chance bestanden, dass man sie heilen konnte. Vermutlich
hatte er sich mit dem Verlust nur deshalb nie ganz abgefunden, weil
diese schwache Hoffnung es ihm immer noch gestattet hatte, ihren Tod
nicht als unabänderlich zu begreifen.
Diese Zuflucht hatte er jetzt nicht mehr.
Er hatte das Liebste getötet, was er in diesem Universum
hatte.
Clavain war allein und schluchzte lautlos in sich hinein.
Es tut mir Leid, es tut mir Leid, es tut mir so
Leid…
* * *
Sie näherte sich der Monstrosität, zu der er geworden
war. Mit Sinnen, für die es keine genaue menschliche
Entsprechung gab, spürte der Captain, wie sich Volyovas Shuttle,
eine stumpfnasige, metallische Präsenz, an ihn heranschob. Sie
ahnte nicht, dass seine Allwissenheit so weit ging. Aus den vielen
Gesprächen, die sie miteinander geführt hatten, wusste er,
dass sie ihn immer noch für einen Gefangenen der Sehnsucht
nach Unendlichkeit hielt, wenn auch in gewissem Sinne eins
geworden mit seinem Gefängnis. Dabei hatte Ilia gewissenhaft die
Nervenstränge seiner neuen, so ungeheuer erweiterten Anatomie
vermessen und katalogisiert und verfolgt, wo sie sich mit dem alten
cybernetischen Netzwerk des Schiffes verbanden und es unterwanderten.
Sie musste sich im analytischen Teil ihres Bewusstseins vollkommen im
Klaren darüber sein, dass es keinen Sinn mehr hatte, zwischen
Gefängnis und Gefangenem zu unterscheiden. Doch sie war offenbar
unfähig, diesen letzten mentalen Sprung zu tun, sie konnte nicht
aufhören, ihn als etwas innerhalb des Schiffes zu
betrachten. Vielleicht hätte das eine allzu gewaltsame
Umstellung ihrer früheren Beziehung bedeutet. Er konnte ihr
nicht verdenken, dass ihre Phantasie den Schritt verweigerte.
Wären die Rollen vertauscht gewesen, er hätte selbst
große Schwierigkeiten damit gehabt.
Der Captain spürte, wie das Shuttle in ihn eindrang. Das
Gefühl war wirklich unbeschreiblich: als hätte sich ein
Stein schmerzlos durch seine Haut gebohrt und in ein sauberes Loch in
seinem Unterleib geschoben. Augenblicke später ging ein Zittern
durch seine Eingeweide – das Shuttle hatte festgemacht.
Sie war zurück.
Er wandte seine Aufmerksamkeit nach innen und konnte nun mit
überwältigender Deutlichkeit verfolgen, was in ihm vorging.
Die Eindrücke des äußeren Universums – alles,
was sich außerhalb seines Rumpfes befand – bekamen eine
niedrigere Prioritätsebene zugewiesen. Er ging immer tiefer ins
Detail, richtete sein Augenmerk zuerst auf einen Abschnitt seiner
selbst, dann auf das Aderngewirr von Korridoren und
Wartungsröhren, das sich durch diesen Abschnitt
schlängelte. Wie in jedem Lebewesen, so hauste auch in seinem
Innern anderes Leben. Sogar Zellen enthielten ehemals
unabhängige Organismen. Bei ihm waren es die Ratten: kleine,
verhuschte Geschöpfe. Aber sie waren nur schwach intelligent und
letzten Endes seinem Willen unterworfen, so dass sie ihn weder
überraschen noch erheitern konnten. Noch dümmer waren die
Maschinen. Volyova war dagegen ein Eindringling, eine fremde Zelle,
die er zwar töten, aber niemals kontrollieren konnte.
Jetzt sprach sie zu ihm. Er fing die Schwingungen auf, die ihre
Stimme in den Wänden des Korridors erzeugte.
»Captain?«, fragte Ilia Volyova. »Ich bin es. Ich
bin von Resurgam zurück.«
Er antwortete ihr durch das Schiff, er selbst hörte dabei
kaum ein Flüstern. »Wie schön, Sie wiederzusehen,
Ilia. Ich fühle mich ein wenig einsam. Wie war es unten auf dem
Planeten?«
»Bedrohlich«, gab sie zurück.
»Bedrohlich, Ilia?«
»Die Lage spitzt sich zu. Khouri glaubt zwar, den
Zusammenbruch so lange aufhalten zu können, dass die Mehrheit
der Bewohner evakuiert werden kann, aber ich bin davon
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