Die Arche
Copenhagen wurde wieder
größer. Xavier führte die Sturmvogel um die
Außenfelge herum, reduzierte mit leichten
Schubstößen die Geschwindigkeit des Trikes, bis er sich
mit dem Karussell drehte, und blieb auf diesem Pseudo-Orbit. Aus dem
Bauch des Trike kam ein stetiges dumpfes Grollen. Er überflog
einen Komplex von kleineren Buchten, in den Reparaturschächten
flammten goldene oder bläuliche Lichter auf, hier und da sah er
ein Schweißgerät blitzen. Ein Zug kam angefahren und
überholte ihn, dann legte sich der Schatten der Sturmvogel über seinen eigenen. Er sah sich um. Der Frachter wirkte so
gewaltig wie ein Eisberg, aber er näherte sich ruhig und
sicher.
Der riesige Schatten sank langsam tiefer und überflog die
Schramme in der Mitte der Außenfelge, die bei den Einheimischen
als Lyles Krater bekannt war. An dieser Stelle war der Händler
auf der Flucht vor den Behörden in seinem Kahn mit den
chemischen Antriebsraketen in das Karussell gerast. Davon abgesehen
hatte das Karussell den Krieg mehr oder weniger heil
überstanden, und auch dieser Schaden hätte sich beheben
lassen. Aber als Touristenattraktion brachte er viel mehr Geld ein,
als wenn man den Abschnitt der Felge ausgewechselt und einer normalen
Verwendung zugeführt hätte. Überall aus dem Rostgürtel kamen die Leute mit Shuttles angeflogen, um
den Krater zu begaffen und sich die Geschichten über Opfer und
Helden dieser Katastrophe anzuhören. Soeben wurde wieder ein
Trupp von Schaulustigen von einem Fremdenführer nach
draußen gelotst. Alle trugen Haltegeschirre und hatten sich in
das Sicherheitsnetz eingeklinkt, das über die Unterseite der
Felge gespannt war. Xavier hatte einige von den Menschen gekannt, die
bei dem Unfall ums Leben gekommen waren, und konnte für so viel
Sensationsgier nur Verachtung empfinden.
Sein Reparaturschacht befand sich ein Stück weiter oben auf
der Felge. Es war der zweitgrößte im ganzen Karussell,
trotzdem schien es, als würde die Sturmvogel auch ohne
die Aufbauten, die Antoinette freundlicherweise abrasiert hatte, kaum
hineinpassen…
Der Eisberg kam relativ zum Karussell zum Stillstand und kippte
nach vorne. Die Nase senkte sich zur Felge. Durch die
Dampfstöße aus den Industrieschächten und den
Mikrodüsen des Schiffes sah Xavier nur verschwommen, wie sich
ein Netz aus roten Laserlinien über die Sturmvogel legte
und ihre Position und Geschwindigkeit auf ein Angström genau
bestimmte. Dann glitt das Schiff mit einem halben Ge Schub aus den
Haupttriebwerken vorsichtig in den Spalt in der Felge. Xavier blieb,
wo er war. Am liebsten hätte er die Augen zugekniffen. Dies war
der kritische Moment.
Das Schiff schob sich mit nicht mehr als vier bis fünf
Zentimetern pro Sekunde vorwärts. Xavier wartete, bis die Nase
im Karussell verschwunden war und nur noch drei Viertel des Schiffes
im All schwebten, dann steuerte er sein Trike längsseits,
überholte die Sturmvogel und parkte auf einem Sims.
Nachdem er abgestiegen war, schickte er das Trike dahin zurück,
wo er es gemietet hatte. Der Skelettflieger hob ab und raste ins All
davon.
Xavier hasste die letzte Phase des Andockmanövers. Jetzt
schloss er tatsächlich die Augen und öffnete sie erst
wieder, als er in den Füßen spürte, wie der Boden des
Reparaturdocks unter den schnellen Schlägen der Andockgreifer
vibrierte. Zischend schlossen sich die Tore unter der Sturmvogel. Sollte das Schiff für längere Zeit hier festsitzen, und
es sah ganz danach aus, dann wäre es sogar zu überlegen, ob
man den Raum belüftete, damit Xaviers Affen ohne Raumanzug
arbeiten konnten. Aber das hatte noch Zeit.
Xavier richtete die Luft führenden Verbindungsröhren
manuell aus und verband sie mit den Hauptschleusen. Dann
verließ er das Reparaturdock durch eine der Luftschleusen. Er
hatte es so eilig, dass er nur Handschuhe und Helm ablegte. Sein Herz
klopfte wie eine Luftpumpe, die eine neue Dichtung brauchte.
Er betrat die Verbindungsröhre zu der Schleuse, die dem
Flugdeck am nächsten war. Die blinkenden Lichter am Ende
verrieten, dass sich die Kammer bereits drehte.
Gleich würde Antoinette erscheinen.
Xavier bückte sich und legte Helm und Handschuhe auf den
Boden. Dann lief er, erst langsam, dann immer schneller, die
Röhre hinunter. Die Irisblende öffnete sich wie in Zeitlupe
und entließ Kondenswasser in dichten weißen Wolken. Vor
ihm dehnte sich der Korridor, die Zeit kroch dahin wie sonst nur in
schlechten Holo-Romanzen, wenn zwei Liebende einander
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