Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Handflächen. Sie nahm wieder die Stange und machte sich mit erneutem Grimm an die Arbeit.
Die Zeit verstrich. Aurian nahm durch den Schleier von Schmerz und Erschöpfung, der sie umgab, nichts mehr wahr. Bestimmt mußten sie bald am Ziel sein. Diese schwarze, bittere Nacht schien kein Ende zu nehmen. Plötzlich fand sie mit der langen Stange keinen Grund mehr und begann – durch die Kraft ihres Stoßes aus dem Gleichgewicht gebracht – wild mit den Armen zu rudern. Als sie fiel, traf sie mit einer Hand auf hartes Holz und klammerte sich mit all ihrer Kraft daran. Die Stange verlor sie, als sie ins eiskalte Wasser eintauchte. Es war tief hier – zu tief –, und die Gewalt der Strömung zog und zerrte an ihrem langsam taub werdenden Körper, während sie sich mit einer Hand immer noch am Heck des Bootes festhielt. Sie konnte bereits spüren, wie ihre Kraft nachließ, wie sich ihr Griff lockerte, wie die Finger langsam über das nasse Holz zu rutschen begannen …
In diesem Augenblick überkam Aurian ein merkwürdiger Frieden – eine ihr neue, entspannte Klarheit des Denkens, alles, was sie jetzt tun mußte, war loszulassen, und sie würde in Sicherheit sein; unerreichbar für Miathan, der sie so niederträchtig verraten hatte, weit weg von allem Kummer und allem Streit. Und Forral, ihr geliebter Forral wartete schon auf sie …
»Halt aus, Herrin, ich komme!« Anvars Stimme war wie ein Schlag ins Gesicht. Starke Finger schlossen sich um ihr Handgelenk, dann um ihren Arm. Starke Hände zogen sie zurück an Bord des schwankenden Bootes. Aurian versuchte zu protestieren, aber sie war zu schwach, um zu kämpfen. Sie rutschte auf die Planken – ein zitterndes, durchnäßtes Häufchen Elend.
»Herrin, das Wehr!« Anvars entsetzte Stimme übertönte schrill das Brüllen des Flusses. Aurian wischte sich das Wasser aus den Augen. Weiße Gischt wehte in Streifen auf dem dunklen Wasser an dem kleinen Boot vorbei, das jetzt wild zu schaukeln begann und eine enorme Fahrt machte. Anvar kämpft mit den Rudern, blind in den umherfliegenden Schaummassen; sie sah gerade noch, daß ihm das linke Ruder von den brodelnden Wassermassen aus der Hand gerissen und gierig fortgewirbelt wurde.
Augenblicklich änderte das Boot seine Richtung, begann zu kreiseln und sich gefährlich zu einer Seite hin zu neigen. Sie hatten keine Kontrolle mehr über das Boot. Aurian lächelte. Forral, dachte sie sehnsüchtig. Nur noch wenige Augenblicke …
Dann schien sie wie aus dem Nichts die Stimme des Schwertkämpfers zu hören. Du wirst mir folgen wollen. Tu es nicht! Sie blickte Anvar an. Er hatte ihr gerade das Leben gerettet. Ganz gleich, wie tief ihre Verzweiflung war, welches Recht hatte sie, ihn mit sich zu reißen?
Bitterlich fluchend zog Aurian ihren Zauberstab aus dem Gürtel. »Aus dem Weg«, rief sie Anvar zu. Sie rempelte sich an ihm vorbei zum Bug des Bootes, wo sie über Sara stand und versuchte, sowohl ihren Stab als auch das schlingernde Boot festzuhalten. Ein weißes Glänzen erstreckte sich vor ihnen quer über den Fluß. Es war schon verzweifelt nahe, und das Brüllen schwoll zu einem dröhnenden Donnern an. Aurian hielt ihren Stab jetzt fest mit beiden Händen umfaßt quer zum Boot auf ihrem Schoß. Ihre Fingerknöchel schimmerten weiß, während sie das glatte Holz umschlossen und Aurian sich mit all ihrer Kraft konzentrierte.
Der gleichförmige Klang ihres Singsangs erhob sich über das Donnern des Wehres. Der Stab begann zu leuchten, in einem blauweißen Licht zu schimmern, das sich wie die zarten Finger eines Blitzes ausbreitete und das ganze Boot einschloß, gerade als es die Kante des Wehrs erreichte und sich anschickte, vornüber zu kippen …
Aurian spürte, wie sich die Klauen der Angst fest um Anvar zusammenzogen – und dann, als sie eine letzte äußerste Anstrengung unternahm, richtete sich das Boot wieder auf und trieb ruhig über dem wirbelnden Mahlstrom dahin, getragen von einem Polster aus reinem Licht. Sanft schwebten sie über die Gefahr hinweg, und ebenso sanft gelangte das kleine Boot dann in das ruhige, flache Fahrwasser unterhalb des Wehrs.
Aurian schloß die Augen und brach keuchend über ihrem Stab zusammen, ließ sich von der Dunkelheit einhüllen, jetzt, da das Licht ihres Zaubers verbraucht war. Sie hatte sich auf die Lippen gebissen, und ihr Mund war voll vom metallischen Geschmack ihres eigenen Blutes. Undeutlich nahm sie wahr, daß Anvar sie in seine Arme zog. Sanft strich er ihr das
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