Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
auch ein Recht auf ein wenig Glück?
Die Morgendämmerung des feuchten, grauen Tages hatte bereits begonnen, als Aurian dicht im Schatten der verfallenen Lagerhäuser zurück zu der Werft kam. Es hatte ewig gedauert, ein Schiff zu finden, dessen Kapitän bereit war, sie mitzunehmen. Der Preis, den er dafür verlangt hatte, war der reinste Wucher – viel mehr als die Summe Goldes, die sie von Vannor bekommen hatte. Sie hatte ihm alles gegeben, was sie hatte, und lange auf ihn einreden müssen, um ihn zu überzeugen, daß er den Rest am Ziel der Reise erhalten würde. Auf ihrem Rückweg zu Anvar wurde die Magusch den Gedanken nicht los, in welcher Gesellschaft sie an Bord des rattenverseuchten, lecken alten Kahnes reisen würden. Sie hatte noch nie in ihrem Leben eine solche Bande von Strolchen gesehen, aber sie wußte, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als das Risiko einzugehen. Miathan suchte noch nicht nach ihnen, aber er würde bald damit anfangen.
Als Aurian das Boot erreichte, war sie schwach vor Müdigkeit, benommen und kaum noch fähig, sich zu bewegen. Anvar stand auf und bot ihr die Hand zum Abstieg über die glitschigen, faulen Pfähle. Sie war dankbar für den festen Halt, den er ihr bot. »Also los«, sagte sie, als sie endlich wieder im Boot saß. »Ich habe uns eine Passage nach Easthaven besorgt. Von dort aus reisen wir zu Lande weiter.«
»Und was ist mit Sara?«
»Wir haben keine Zeit, etwas mit ihr zu besprechen. Ich werde mich darum kümmern.« Aurian schnippste vor dem Gesicht des schlafenden Mädchens mit den Fingern. »Komm«, befahl sie. Saras Augen öffneten sich; ihr Gesichtsausdruck war vollkommen leer. Sie erhob sich steif, und Anvar griff schnell nach dem Pfahl, an dem sie festgemacht hatten, um das schwankende Boot zu beruhigen.
»Wir können sie nicht so mit an Bord nehmen!« protestierte er.
»Wir müssen. Zieh ihr die Kapuze ins Gesicht und nimm ihren Arm. Du mußt sie führen.« Aurians Gesichtsausdruck ließ es ihm angeraten erscheinen, auf Widerspruch zu verzichten.
Es war ein furchtbarer Kampf, das Mädchen auf die Pier zu hieven, aber danach bewegte sie sich fast natürlich. Anvar führte sie, und Aurian trug das Gepäck. Die ein oder zwei frühen Passanten, die sie trafen, schenkten ihnen kaum Beachtung, und Aurian begann etwas aufzuatmen – bis Anvar das Schiff sah, das sie mitnehmen sollte.
Er blieb wie angewurzelt stehen. Sein ganzes Gesicht war ein einziges Bild von Widerwillen. »O nein«, sagte er. »Das ist bestimmt nicht dein Ernst.«
»Anvar, was erwartest du von mir?« raunzte Aurian ihn an. Sie war den Tränen nahe. »Sieh uns doch an! Wir wirken kaum respektabel, oder? Glaubst du denn, irgendein vernünftiger Kapitän würde uns mitnehmen? Ich habe mein Bestes getan – und es ist auf jeden Fall besser, als hier darauf zu warten, daß Miathan uns findet!«
Es war klar, daß Anvar darauf nichts mehr würde entgegnen können. Kopfschüttelnd führte er Sara die schmale, schlüpfrige Planke hinauf, die an Bord des maroden kleinen Segelschiffes führte.
Kapitän Jurdag hatte lange Koteletten und trug sein fettiges, rotgelbes Haar zu einem Zopf zusammengebunden. In seinen Ohren glänzten Goldringe, und der wilde Ausdruck seiner eng zusammenstehenden Augen erinnerte Aurian an ein Wiesel. Er verbeugte sich vor ihr in heimtückisch vorgetäuschter Höflichkeit, und der Rest der auf Deck herumlungernden Mannschaft – ein schäbiger, von Messerstichen verunstalteter, pockennarbiger Haufen – kicherte. Als sie Aurians unbewegten, stählernen Blick bemerkten, trat plötzlich gespannte Stille ein. »Zeig uns unsere Kabine, Kapitän, und mache alles bereit, um die Segel zu setzen!« sagte sie kalt.
»Sehr wohl, Lady.« Der Kapitän machte aus dem Wort eine Beleidigung, und Aurian, die sah, wie sich Anvars Gesicht verärgert rötete, nahm ihn fest beim Arm und schüttelte den Kopf.
Sie wurden in eine winzige, schmutzstarrende Kabine im Heck des Schiffes geführt, die der Kapitän offensichtlich für sie frei gemacht hatte. Aurian las einen Haufen stinkender, ungewaschener Kleider vom Boden auf und gab sie ihm. »Deine, nehme ich an«, sagte sie. »Das ist im Moment alles.«
Mit finsterem Gesichtsausdruck ließ er sie allein. Aurian verriegelte mit einem Seufzer der Erleichterung die Tür hinter ihm. »Große Götter!« sagte sie. »Es tut mir leid, Anvar.«
Anvar kämpfte mit dem Verschluß des winzigen, salzverkrusteten Glasfensters in der Heckwand des
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