Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Booten und niedrigen, flachen Kähnen, deren kunstvolles Aussehen viel beruhigender war.
Die Stadt war erheblich größer, als die Magusch erwartet hatte, und ihre Architektur erschien ihr vollkommen fremd. Die Dächer waren flach oder gewölbt, und einige wurden von schlanken, geriffelten Turmspitzen gekrönt. Auch die Türen und Fenster waren in der Regel gewölbt und unterschieden sich damit sehr von der nützlichen, quadratischen Form, mit der sie vertraut war. Unmögliche Brücken, die vom Boden aus körperlos wie dünne Fäden wirkten, spannten sich hoch über ihrem Kopf, Hunderte von Fuß weit und tausend Fuß hoch. Bei dem bloßen Gedanken daran wurde Aurian mit ihrer irrationalen Höhenangst übel und schwindelig. Der Mangel an schützenden Mauern verwirrte sie, da sie nicht wissen konnte, daß die Klippen jenseits der Stadt von etwas viel Mächtigerem, viel Erschreckenderem bewacht wurden, als es eine von Menschen ersonnene Verteidigung je sein konnte.
Aurian schob sich das zerzauste Haar aus den Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Es würde kein Problem sein, in die Stadt hineinzukommen – aber was sollte sie tun, wenn sie erst einmal drin war? Wie sollte sie Anvar und Sara in einer Stadt von dieser Größe finden? Und waren sie überhaupt dort? Lebten sie noch? Warum hatte sie sie überhaupt allein gelassen? Um diese Fragen kreisten unaufhörlich ihre Gedanken, aber sie fand keine Antworten darauf.
Erst nach einer ganzen Weile wurde Aurian sich ihrer ungeschützten Position bewußt, und sie wandte sich nach rechts zu den Klippen, wo sie in einem Hain niedriger, knorriger Bäume Schutz fand. Sie erkannte sie wieder; es waren dieselben Bäume, die sie auch auf ihrem Weg flußaufwärts begleitet hatten, und wie erwartet hielten sie eine reiche Ernte reifer Nüsse für sie bereit. Mit dem Kind in ihrem Bauch, das ihre Energie aufsog, war Aurian schon wieder halb verhungert. Hastig sammelte sie, bevor auch der letzte Lichtstrahl des Mondes hinter den Klippen verschwand, eine große Menge Nüsse. Dann machte sie es sich zwischen den hohen Wurzeln eines alten Baumes bequem und begann, die harten Nußschalen mit dem Griff ihres Dolches aufzubrechen.
Nach dem Essen ging es ihr wieder besser, und sie konnte sich den vor ihr liegenden Problemen zuwenden. Von Forral hatte sie die Methode gelernt, ein Problem in kleine, lösbare, einzelne Schritte aufzuteilen. Welchen Schritt mußte sie in diesem Fall als ersten tun? Nun, vor allem mußte sie aufhören, sich Sorgen zu machen. Wenn Anvar und Sara dort waren, würde sie sie finden. Und wenn nicht, würde sie darüber nachdenken, wenn die Zeit dazu gekommen war. Immer schön eins nach dem anderen. Um in die Stadt zu kommen, ohne Verdacht zu erregen, mußte sie einige Kleider stehlen, mit denen sie ihre zerlumpte Kampfmontur ersetzen konnte. Sie mußte erreichen, daß man sie für eine Eingeborene hielt, also war es wichtig, erst einmal herauszufinden, wie diese Leute aussahen, und sich dann eine passende Verkleidung zu suchen. Da sie eine Magusch war, würde die Sprache ihr keine Probleme bereiten. Wenn sie mit ihrer Verkleidung fertig war, würde sie sich beschaffen müssen, was auch immer in diesen Gefilden als Geld benutzt wurde. Aurian begriff mit grimmiger Belustigung, daß sie ihrer wachsenden Sammlung von Fähigkeiten, seien sie nun magisch oder kriegerisch, nun auch den Diebstahl würde hinzufügen müssen. Sie streckte ihre schmerzenden Glieder und gestattete sich, sich zu entspannen. Jetzt, da sie einen Plan hatte, konnte sie sich im Versteck dieser schützenden Bäume eine Weile ausruhen. Voller Erschöpfung versank sie zwischen den Baumwurzeln in tiefem Schlaf. Als der Morgen dämmerte und die Vogeljäger mit ihren Hunden und Netzen herbeikamen, schlief sie immer noch. Die Hunde hatten sie sofort entdeckt, und ihr Jaulen weckte sie gerade rechtzeitig, um ihr Schwert zu ziehen und sich gegen die Herren zu verteidigen. Die Jäger waren keine Krieger. Aurian tötete einen und setzte zwei weitere außer Gefecht, bevor ihre Kameraden es schafften, sie in ihren Netzen zu fangen.
Der Aufruhr hatte die Bauern, die auf den Feldern in der Nähe arbeiteten, herbeigelockt, und schließlich fand Aurian sich hilflos in den Netzen verfangen am Boden liegend wieder, umgeben von einer erstaunten, lautstarken Menschenmenge.
»Seht euch nur diese blasse Haut an!«
»Und dieses Haar. Es hat die Farbe von Blut!«
»Ein Krieger?«
»Ein Dämon?«
»Eine
Weitere Kostenlose Bücher