Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
zu erneuern. Und der Wein tat das seinige. Langsam fielen ihre Augen zu, und sie begann einzunicken …
Dann hörte sie plötzlich, wie ein Schlüssel im Schloß herumgedreht wurde. Blitzartig setzte Aurian sich auf und blinzelte in das blendende Sonnenlicht, das durch das verriegelte Fenster ihrer Zelle fiel. Sie griff nach ihrem Schwert, aber es war natürlich nicht mehr da. Ein großer, braunhäutiger Mann in mittleren Jahren trat mit einem Tablett in der Hand in die Zelle. Die Magusch machte keine Bewegung, sondern beobachtete ihn, während er zum Tisch ging und seine Last dort absetzte. Sein Kopf war vollkommen kahl, und über dem linken Augen trug er eine Augenklappe. Von der Klappe aus verlief eine bleiche, gezackte Narbe quer über sein Gesicht. Unter seinen weiten, roten Gewändern war sein Körper kräftig, breitschultrig und geschmeidig; er erinnerte sie schmerzlich an Anvar.
Schließlich drehte er sich zu ihr um und verbeugte sich tief. »Einen schönen Tag wünsche ich dir, Krieger.« Seine Stimme war tief und weich.
Aurian reagierte instinktiv auf seine Höflichkeit und neigte zur Antwort den Kopf. »Einen schönen Tag wünsche ich dir, Herr – und dein Tag wird sicher schöner sein als meiner, fürchte ich«, fügte sie trocken hinzu.
Der Mann lächelte. »Das bleibt abzuwarten. Eliizar bin ich, und Schwertmeister der Arena.« Er verbeugte sich abermals. Aurian erhob sich, rieb sich ihren schmerzhaft steifen Nacken und antwortete ihm in gleicher Manier.
»Aurian bin ich – und eine Närrin, so scheint es, daß ich im Sitzen eingeschlafen bin.« Während sie sprach, fragte sie sich, warum die Armreifen sie nicht ihrer Fähigkeit, die fremde Sprache zu sprechen, beraubt hatten. War es möglich, daß der Zauber eine Lücke aufwies?
Eliizar lächelte. »Du warst wirklich sehr erschöpft – und auch hungrig, wie es scheint.« Er zog angesichts der spärlichen Überreste dessen, was von ihrem Abendmahl übriggeblieben war, die Augenbrauen hoch. »Ich hielt es für das beste, dich erst einmal schlafen zu lassen. Wir haben Masseure hier, die sich um deinen steifen Nacken kümmern können, aber laß uns als erstes miteinander frühstücken. Ich bin neugierig, deine Geschichte zu hören, und sicher, daß du viele Fragen hast, die du mir stellen möchtest.«
Das Frühstück bestand aus hartgekochten Eiern, dem unvermeidlichen flachen Brot und dazu Käse, Honig und Früchten – und einem mit einem flachen Deckel verschlossenen Topf, aus dem das verführerischste Aroma aufstieg.
»Was ist das?« fragte sie Eliizar. Seine Augenbrauen fuhren überrascht in die Höhe.
»Du kennst keinen Liafa? Dann hast du nie gelebt! Liafa ist der Segen des Kriegers – es gibt Kraft, Mut und ein waches Auge.« Er goß ihr eine Tasse von der dampfenden, schwarzen Flüssigkeit ein und reichte sie Aurian, die augenblicklich eine Grimasse zog. Es sah aus wie Schlamm. Aber dann atmete sie noch einmal das berauschende Aroma ein, nahm einen Schluck und – würgte. Der Geschmack war stark und ausgesprochen bitter.
»Es – es schmeckt nicht so, wie es riecht«, sagte sie ein wenig töricht.
Eliizar lächelte und häufte einen Löffel voll Honig in ihre Tasse, den er anschließend energisch verrührte. »Versuchs noch einmal«, drängte er sie. Aurian griff nach der Tasse, als sei sie eine Schlange, aber da sie nicht ihr Gesicht verlieren wollte, trank sie noch einmal davon. Diesmal leuchtete ihr Gesicht vor Freude auf. Nachdem der Honig die Bitterkeit vertrieben hatte, war das Getränk einfach köstlich – und außerdem anregend. Aurian, der es immer schwerfiel, morgens richtig aufzuwachen, war begeistert. Mit großer Lust machte sie sich nun über ihr Frühstück her.
»Wie bist du hierher gelangt, Aurian?« fragte Eliizar und lenkte ihre Aufmerksamkeit vom Essen ab. »Wie ist es möglich, daß eine Dame ein Krieger ist? In diesem Land kennt man keine Schwertkämpferinnen.«
Aurian wiederholte die Geschichte, die sie bereits den Gebietern erzählt hatte. Als sie ihre beiden verlorengegangenen Begleiter erwähnte, wurde Eliizars gesundes Auge schmal. »Ah«, sagte er nachdenklich. »Dann ist an den Gerüchten vielleicht doch etwas Wahres.«
Aurian zuckte bei seinen Worten zusammen. »Was für Gerüchte?«
Der Schwertmeister zögerte. »Es hat vielleicht nichts damit auf sich«, sagte er schließlich. »Du weißt, wie manchmal plötzlich aus dem Nichts ein Gerücht entsteht …«
Aurian umklammerte sein Handgelenk.
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