Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
den Bogen vor der Tür zum Turm in ihrem Würgegriff.
Am diesseitigen Zugang der Brücke hatten sich die Apfelbäume aus Eilins Obstgarten zu einem engen Knoten verschlungen. D’arvan sah voller Erstaunen, wie aus jedem Ast mit unheimlicher Geschwindigkeit Früchte hervorbrachen, die es zu dieser Jahreszeit eigentlich gar nicht geben durfte, und während er noch über den Grund dafür nachdachte, schnellte einer der Äste plötzlich zurück und schoß ihm einen Apfel entgegen wie einen Stein aus einer Schleuder. Er duckte sich, aber die harte Frucht traf seine Schulter mit schmerzhafter Gewalt und verpaßte sein Gesicht nur um wenige Zentimeter. Ein wahrer Hagel von Äpfeln folgte dem ersten und zwang D’arvan, zu seinem Schutz hinter einem Baum Zuflucht zu suchen; aber die Wurzeln des Baumes begannen sich in einem Schauer von Erde aus dem Boden zu ziehen, und D’arvan Versteck bewegte sich, um den Obstbäumen einen direkten Beschuß ihres Zieles zu ermöglichen. Das gesamte Tal war in Aufruhr, jedes Ding, das wuchs, eilte hastig zur Verteidigung von Eilin herbei, der Herrin der Erdmagie. Und da sie D’arvan versehentlich für einen Eindringling hielten, hinderten sie ihn daran, ihr zu Hilfe zu eilen. Mit beiden Händen faßte er Mayas Schwert und begann verzweifelt und gedankenlos in seiner Hast auf die ihn umgebenden Äste einzuschlagen.
Ein finsteres Rascheln lief durch die Reihen der Bäume. Ein glutroter Nebel erhob sich schlingernd zwischen den Ästen, die nach ihm griffen – der Zorn des Waldes. Ein Geräusch wie das pfeifende Heulen des Sturmwinds füllte die Ohren des Magusch, während die Äste begannen, sich hin und her zu werfen und mit ihren Zweigen wie mit knochigen Fingern nach seinem Haar und nach seinen Augen zu greifen und an seinen Kleidern zu zerren. Blut troff von seinen Fingerknöcheln, als die Zweige nach seinen Händen schlugen, und versuchten, ihm das Schwert zu entreißen. Weit, weit weg, so schien es, hinter dem fauchenden, tobenden Lärm des Waldes, hörte er Maya um Hilfe schreien. Hin- und hergerissen versuchte D’arvan, zu ihr zurückzugelangen, aber ein dichtes Gestrüpp aus Stechpalmen, die nur so strotzten vor glänzenden, dolchscharfen Blättern, versperrte ihm den Weg. Der Wald, der sich sein Zögern zunutze machte, warf ihm Wurzeln wie erdverkrustete Tentakel um die Knöchel. Ein scharfer Ruck, und er lag auf dem Boden; dann begannen die Wurzeln, ihn fortzuziehen. – tiefer hinein in das unergründliche Herz des Waldes. Wilde Rosen schlangen sich um seine Hände und gruben die Abdrücke scharfer Stacheln in die zarte Haut seiner Handgelenke und seiner Finger, die noch immer den Griff des Schwertes umklammert hielten. Staubteufel wirbelten über den Boden und bewarfen ihn mit toten Blättern, Erde und Kieselsteinen, die ihm in den Augen brannten.
»Hilf mir!« Da war er wieder, Eilins Schrei. Mittlerweile schwach und voller Verzweiflung, brannte er sich wie ein Feuer durch D’arvans Gedanken.
»Ich kann nicht!« stieß er laut hervor, und Tränen des Schmerzes und der Frustration liefen ihm übers Gesicht. Seine Kleider waren an Knien und Ellbogen bereits vollkommen zerfetzt, und die Haut darunter war blutig aufgerissen. Seine Hände wurden langsam taub, weil die sich immer fester zuziehenden Schlingen der Ranken denBlutkreislauf abschnitten. Schon bald würde er das Schwert nicht mehr festhalten können, und dann hätte er keine Möglichkeit mehr, seiner Lehrerin zu Hilfe zu eilen …
Natürlich! Du Narr! Wo war er nur mit seinen Gedanken gewesen? Er war doch selbst ein Erdmagusch! Kein Wunder, daß der Wald ihn für einen Feind gehalten hatte, nachdem er wie irgendein törichter, unwissender Sterblicher auf ihn eingeschlagen hatte! Mit allen Kräften versuchte er, seine wirbelnden Gedanken zu konzentrieren, um sich daran zu erinnern, was die Lady Eilin ihm während der vergangenen Wochen beigebracht hatte. Dann endlich gelang es ihm, seine Kräfte zu sammeln, und er versuchte, mit seinen Gedanken den Wald zu erreichen – das Herz des Waldes, seine Seele.
Der Wald erwiderte seine Versuche mit heißem Zorn. Sein Verstand wurde eingehüllt hinter einem Nebel siedendheißer Wut. Aber D’arvan ließ nicht locker. Ich bin ein Freund! Ein Freund! Ich will mit euch der Lady helfen! Versteht doch, ich bin ein Erdmagusch, ihr eigener Schüler. Seht ihr? Flehentlich öffnete er sich dem Wald, wie Eilin es ihm gezeigt hatte, und ließ sich prüfen. Er rief die feuchten,
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