Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
Rudel großer Jagdhunde zu sich, gab der weißen Stute die Sporen und ließ sie zur Erde hinunterstürmen. Seine Leute folgten ihm. Sternschnuppengleich ergossen sie sich in hohem Bogen vom Himmel; in ihren Augen brannte die hungrige Gier nach dem Blut Sterblicher. Ihre Stimmen erhoben sich zu einem schrillen, mißtönenden Schlachtlied, das die Luft wie eine Klinge durchschnitt. Einer nach dem anderen wurden die Söldner, die Eliseth auf ihrem gescheiterten Plünderzug begleitet hatten, wie die Hirsche zwischen den Bäumen gejagt und abgeschlachtet, während die Erde zwischen den Wurzeln des gequälten Waldes in tiefen Zügen ihr Blut trank. Erst als alle Sterblichen niedergemetzelt waren, sahen sich die Phaerie nach einer anderen Beute um.
Im Zentrum des großen Talkessels, am Ufer des Sees, schauderte die Erdmagusch Eilin, als sie die Todesschreie der Sterblichen hörte. Der Verrat des Phaeriefürsten war im Vergleich zu dem Verlust ihrer Tochter nur eine Kleinigkeit, aber er tat ihr trotzdem weh. Eilin, die vom Gewicht ihres Kummers beinah erdrückt wurde, stand benommen und unentschlossen da. Nur ihr halsstarriger Stolz hielt sie auf den Beinen. Zum zweiten Mal in ihrem Leben mußte sie die Zerstörung all dessen, was ihr lieb und teuer war, mitansehen. Sie hatte ihre Tochter, ihr Heim und ihre Hoffnungen verloren. Das erste Mal, als ihr Leben nach Geraints Tod wie ein Scherbenhaufen vor ihr gelegen hatte, hatte sie sich über Kummer und Unglück erhoben und sich auf den Trümmern ihrer Träume ein fruchtbares und sinnvolles Leben aufgebaut – aber jetzt war sie älter, niedergedrückt, verwirrt und einsam. Woher sollte sie je die Kraft und den Mut nehmen, noch ein zweites Mal die Trümmer zusammenzusammeln?
Neben ihr standen Vannor und Parric, die einstigen Gefährten ihrer Tochter. Sie waren jetzt die Anführer der Rebellenschar, die im Tal Zuflucht gesucht hatte, während sie, Eilin, in der Anderwelt des Phaeriereichs geweilt hatte. Durch ihre beharrliche Ausschau an Hellorins magischem Fenster, das den Blick auf ihre eigene Welt freigab, hatte sie all diese Menschen im Laufe der vergangenen Monate ein wenig kennengelernt – mit Ausnahme eines Fremden, der seiner Haut nach ein Fremdländer von der anderen Seite der Meere sein mußte. Bis dorthin reichte die Magie von Hellorins Fenster jedoch nicht.
Keiner dieser Sterblichen bedeutete Eilin etwas – sie konnte es kaum erwarten, daß sie endlich verschwanden. Die Magusch wollte ihr Tal wieder für sich haben – sie brauchte Zeit, um all der Zerstörung Herr zu werden, die die Wettermagusch Eliseth hinterlassen hatte. Und sie wollte allein sein, um mit dem entsetzlichen Verlust ihrer Tochter und dem Schmerz über den Verrat des Phaeriefürsten fertig zu werden. Aber sie konnte nichts tun.
Diese Leute waren Aurians Freunde und Gefährten gewesen. Die grauenhaften Ereignisse des hinter ihr liegenden Tages entsetzten die Sterblichen genauso wie Eilin. Die Magusch wußte, daß sie sich erst ausruhen und wieder zu Kräften kommen mußten, bevor sie sie endlich loswerden konnte. Aber von ihr hatten sie trotzdem nichts zu erwarten – sie besaß nichts mehr, was sie ihnen hätte geben können. Sollten die Sterblichen doch für sich selbst sorgen!
Von allen Menschen, die diesen furchtbaren Tag überlebt hatten, schien Dulsina – die die Lady Aurian kaum gekannt hatte – am besten damit fertig zu werden. Nach einem einzigen Blick auf ihre am Boden zerstörten Gefährten wurde der Frau klar, daß sie die Dinge selbst in die Hand nehmen mußte, wenn sie für die Nacht ein Mindestmaß an Behaglichkeit haben wollten. Parric hatte sich von den anderen entfernt und stand jetzt mit dem Rücken zu ihnen. Er hatte den Kopf gesenkt, und seine herunterhängenden Schultern verrieten Kummer und Niedergeschlagenheit. Selbst aus dieser Entfernung konnte Dulsina das beängstigende Geräusch seines unablässigen Fluchens hören. Sangra bemühte sich tapfer, wenn auch ohne großen Erfolg, die Tränen zurückzuhalten. Sie hielt den Griff ihres Schwertes so fest umklammert, daß ihre Knöchel weiß hervortraten – als könne sie mit Waffen das Gefühl der Angst und der Mutlosigkeit bekämpfen, das sie in seinen Fängen hielt.
Fional stand, obwohl ihn der Verlust seines Freundes D’arvan zutiefst bekümmerte, bei dem Fremden, dem exotisch aussehenden Mann mit dem sonnengebräunten Gesicht, dem langen dunklen Haar und dem anmutigen, muskulösen Körper eines Tänzers.
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