Die Asche der Erde
freundlich, dankt ihnen und bleibt. Sie wartet auf etwas. In letzter Zeit ist sie unruhig geworden. Ich habe das Gefühl, daß es in ihrem Leben bald eine Veränderung geben wird, daß sie eines Tages plötzlich an Bord irgendeines Schiffes gehen und abreisen wird.
Ich muß mich mehr an sie gewähnt haben, als mir bisher bewußt geworden ist, denn auf einmal fürchte ich den Tag, da ich sie verlieren werde, den Tag, der mir die Erneuerung meiner Einsamkeit bringen wird.
Kirillin war eine halb gelähmte, häßliche junge Frau mit den Narben von Messerschnitten auf einer Wange und einer purpurnen Gesichtsrose, die wie eine Maske über ihren Augen lag. Sie trug immer schwarze Kleider. Sie war einige Jahre älter als Chris und hatte ihre Karriere als Diebin vor zehn Jahren beendet, war aber eine gute Freundin. Sie war in vielen Dingen Mischas Lehrerin gewesen, von den Listen und Kniffen des Diebesgewerbes bis zur Biokontrolle der Fruchtbarkeit. Mischa ging zu ihrem Laden und lehnte sich an den Türrahmen.
Kiri blickte auf. »Hallo, Mischa.«
»Hallo.« Sie zeigte zum Hintergrund des Raumes, wo fünf Kinder am Boden spielten. »Brauchst du Hilfe?«
Kiri lächelte mit der beweglichen Gesichtshälfte. »Woran hast du gedacht? Ehrliche Arbeit?«
»Ich dachte, ich sollte es versuchen.«
Kiri hob eine Augenbraue. »Es wäre wirklich eine Schande, eine so gute Diebin aus ihrem Beruf zu reißen.«
»Ich werde zu alt dafür.«
Kiri lachte laut auf. Als sie sich beruhigt hatte, fragte sie mit gutmütiger Skepsis: »Erzähl mir, was du vorhast.«
Mischa zuckte die Achseln.
»Überlegen wir mal«, sagte Kirillin. »Mein seniler alter Verstand scheint sich zu erinnern, daß vorhin ein aufgeputzter kleiner Balg aus dem Palast vorbeistolzierte. Und ich werde mich bald für eine Lieferung verdingen.« Sie blickte erwartungsvoll auf. »Erraten?«
»Aber bei der Lieferung brauchst du meine Hilfe.« »Das ist ein gefährliches Risiko.«
»Ich will mit Blaisse sprechen.«
Kiri lachte, überrascht und ungläubig. »Es wäre einfacher, ihn zu bestehlen.«
»Gib mir eine Chance, Kiri.«
»Warum?«
Mischa verschränkte die Arme und ließ den Kopf sinken, daß ihr das Haar über die Augen fiel. »Wann hast du Chris zuletzt gesehen?«
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Kiri zögernd. Muskeln spannten sich in ihrem Gesicht. »Es ist lange her.«
»Er sagte, ein Schiffseigner habe ihn geheuert, aber er .. . äh ... wurde krank. Ich muß ihn von hier fortbringen, Kiri, oder er geht zugrunde. Vielleicht kann man ihm anderswo helfen.«
»Mischa, aber was willst du Blaisse sagen?«
Sie zog die Schultern hoch. »Keine Ahnung. Ich habe keine besonderen Fähigkeiten, bin kein Spezialist wie Chris. Aber ich kann alles tun, wenn man es mir einmal zeigt. Ich bin nicht dumm. Ich werde ihn einfach überzeugen müssen, daß er mich an Bord eines seiner Schiffe läßt.«
Kiri stemmte sich aus ihrem Stuhl und starrte aus dem Fenster auf die nackte, graue Fassade des Palastes. Sie ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. »Ich fürchte, es wird nicht gut für dich ausgehen«, sagte sie schließlich.
»Vielleicht.«
»Auch ich riskiere etwas dabei«, sagte Kiri. »Ich werde nicht für dich garantieren. Wenn sich trotzdem jemand findet, der dich anheuert, in Ordnung. Das ist alles, was ich tun werde. Und auch das tue ich nur ungern.«
»Danke, Kiri.«
Sie lächelte ein ironisches Lächeln, das durch ihre Narben und die gelähmte Gesichtshälfte häßlich wurde. »Ja, natürlich.«
Am Nachmittag fand Mischa sich wieder bei der Freundin ein, wo eine Gruppe junger Frauen und Mädchen wartete. Sie vertrieb sich wie die anderen mit Spielen und Schwatzen die Zeit, während die Kaufleute kamen und Trägerinnen anmieteten. Zuletzt war sie mit Kiri allein.
»Ich fürchte, niemand wird dich nehmen, Mischa.«
»Der Palast hat bei vielen Händlern bestellt«, erwiderte Mischa. »Ich werde noch eine Weile warten.« Sie setzte sich an die Rückwand und zog die Knie an. Kiri hinkte im vorderen Teil ihres Raumes auf und ab, aber die Bewegung ermüdete sie. Einmal bückte sie sich, um ihr steifes Bein über dem Knie zu massieren. Mischa kannte ihre Freundin lange genug, um zu wissen, daß jeder Vorschlag, Kiri solle einen Heiler aufsuchen, vergeblich gewesen wäre. Die Antwort wäre ein kalter Blick und ein langes Stillschweigen gewesen.
Endlich setzte sich Kiri auf den Stuhl, blickte aber immer wieder nervös zur Tür hinaus in den Kreis. Zuletzt,
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