Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Hause auf eine Tasse Tee haltmachen, und wenn ich das doch tue, kriegt sie das heraus. Ich soll auch nicht in Kirchen haltmachen, um ein Gebet zu sprechen. Wenn ich unbedingt beten muß, dann auf dem Huf oder auf dem Fahrrad. Wenn es regnet, kümmer dich nicht drum. Stell die Telegramme zu und sei kein Waschlappen.
Ein Telegramm ist an Mrs. Clohessy, Arthur’s Quay, adressiert, und das kann ja wohl nur Paddys Mutter sein.
Bist du das, Frankie McCourt? sagt sie. Gott, ich hätte dich gar nicht erkannt, so groß bist du geworden. Komm doch rein.
Sie trägt einen bunten Kittel mit Blumen drauf und blitzblanke neue Schuhe. Auf dem Fußboden spielen zwei Kinder mit einer Eisenbahn. Auf dem Tisch stehen eine Teekanne, Tassen mit Untertassen, eine Flasche Milch, ein Laib Brot, Butter, Marmelade. Beim Fenster stehen zwei Betten, die da vorher nicht gestanden haben. Das große Bett in
der Ecke ist leer, und sie errät, was ich mich frage. Er ist weg, sagt sie, aber er ist nicht tot. Mit Paddy nach England gegangen. Trink doch ein bißchen Tee und iß ein bißchen Brot. Du kannst es gebrauchen, Gott helfe uns. Du siehst aus wie einer, der von der Großen Hungersnot damals übriggeblieben ist. Iß das Brot mit ordentlich Marmelade und stärke dich. Paddy hat immer von dir gesprochen, und Dennis, mein armer Mann, der in dem Bett da lag, hat nie den Tag vergessen, an dem deine Mutter kam und das Lied über die Tanzerei in Kerry gesungen hat. Er ist jetzt drüben in England und schmiert Stullen in einer Kantine und schickt mir jede Woche ein paar Shilling. Man fragt sich, was sich die Engländer denken, wenn sie einen Mann nehmen, der die Schwindsucht hat, und ihm einen Job als Stullenschmierer geben. Paddy hat einen großartigen Job in einer Kneipe in Cricklewood, das liegt in England. Dennis wäre immer noch hier, wenn Paddy nicht wegen der Zunge die Mauer raufgeklettert wäre.
Zunge?
Dennis hatte dieses schmachtende Verlangen nach einem schönen Schafskopf mit ein bißchen Kohl und einer Kartoffel, ich also mit den letzten paar Shilling, die ich noch hatte, zu Barry dem Schlachter. Ich habe den Kopf gekocht, und Dennis, krank und alles, wie er war, konnte es gar nicht erwarten, daß er endlich durch war.
Er war ein richtiger Dämon da in dem Bett und schrie nach dem Kopf, und als ich ihm den Teller brachte, war er ja so was von zufrieden mit sich und zuzelte das Mark aus jedem Zoll dieses Kopfes heraus. Dann ist er fertig und sagt, Mary, wo ist die Zunge?
Welche Zunge? sage ich.
Die Zunge dieses Schafes. Jedes Schaf wird mit einer Zunge geboren, welche es dazu befähigt, mäh mäh mäh zu machen, und in diesem Kopf herrscht ein großer Mangel an Zunge. Geh zu Barry dem Fleischer und verlange sie.
Ich also zu Barry dem Fleischer, und er sagte, dies verdammte Schaf ist hierhergekommen und hat so viel geblökt und geweint, daß wir ihm die Zunge abgeschnitten und dem Hund vorgeworfen haben, welcher sie sofort verschlang und seitdem mäh mäh macht wie ein Schaf, und wenn er das nicht bald läßt, schneide ich ihm die Zunge ab und werfe sie der Katze vor.
Ich zurück zu Dennis, und er gerät im Bett außer sich. Ich möchte diese Zunge, sagt er. Sämtliche Nährstoffe sind in der Zunge. Und was glaubst du, was als nächstes geschieht? Geht doch mein Paddy der dein Freund war, nach Einbruch der Dunkelheit zu Barry dem Schlachter, klettert die Mauer rauf, schneidet einem Schafskopf, der an einem Haken an der Wand hängt, die Zunge raus und bringt sie mit nach Hause zu seinem armen
Vater, der im Bett liegt. Natürlich muß ich diese Zunge mit jeder Menge Salz kochen, und Dennis, Gott liebe ihn, ißt sie, legt sich kurz im Bett zurück, wirft die Decke von sich, steht plötzlich auf seinen zwei Füßen und gibt der Welt bekannt, daß er, Schwindsucht hin, Schwindsucht her, nicht in diesem Bett sterben wird, und wenn er überhaupt sterben muß, dann genausogut unter einer deutschen Bombe und vorher noch ein paar Pfund für die Familie verdienen, anstatt dahinten in dem Bett vor sich hin zu winseln.
Sie zeigt mir einen Brief von Paddy. Er arbeitet zwölf Stunden am Tag in der Kneipe seines Onkels Anthony, fünfundzwanzig Shilling die Woche und jeden Tag Suppe und ein belegtes Brot. Er ist entzückt, wenn die Deutschen mit den Bomben herüberkommen, so daß er schlafen kann, während die Kneipe geschlossen hat. Nachts schläft er auf dem Fußboden auf dem Korridor im ersten Stock. Er wird seiner Mutter jeden Monat zwei Pfund
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