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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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geh rein und sag ihnen, deine Tante wartet draußen, und du kommst eine Stunde später. Wenn sie Streit wollen, komme ich rein und streite mich mit ihnen.
    Warum soll ich eine Stunde später kommen?
    Du tust, wie dir verdammtnochmal geheißen.
    Auf einer Bank an einer Wand sitzen Telegrammjungen. An einem Schreibtisch sitzen zwei Frauen, eine dick, eine dünn. Die Dünne sagt, ja?
    Ich heiße Frank McCourt, Miss, und ich bin hier, um mit der Arbeit anzufangen.

    Und was für eine Art Arbeit wäre das?
    Telegrammjunge, Miss.
    Die Dünne gackert, o Gott, ich dachte, du bist hier, um die Toiletten zu putzen.
    Nein, Miss. Meine Mutter ist mit einem Schreiben vom Priester, Dr. Cowpar, gekommen, und angeblich gibt es hier Arbeit für mich.
    Ach ja? Arbeit? Für dich? Und weißt du auch, was heute für ein Tag ist?
    Ja, Miss. Heute ist mein Geburtstag. Ich bin vierzehn.
    Ist das nicht großartig, sagt die dicke Frau.
    Heute ist Donnerstag, sagt die dünne Frau. Dein Job beginnt am Montag. Geh weg und wasch dich und komm dann wieder.
    Die Telegrammjungens an der Wand lachen. Ich weiß nicht, warum, aber ich spüre, daß mein Gesicht heiß wird. Ich sage zu der Frau, danke schön, und auf dem Weg hinaus höre ich die Dünne sagen, Jesus in der Höhe, Maureen, wer hat denn das Exemplar angeschleppt? und sie lachen zusammen mit den Telegrammjungens.
    Tante Aggie sagt, nun? und ich sage ihr, ich fange erst Montag an. Sie sagt, meine Sachen sind eine Schande, und worin ich sie gewaschen habe.
    Karbolseife.
    Sie riechen nach toten Tauben, und du machst die ganze Familie zum Gespött.
    Sie nimmt mich mit zu Roche’s und kauft mir
ein Hemd, einen Wollpulli, eine kurze Hose, zwei Paar Strümpfe und im Ausverkauf ein Paar Sommerschuhe. Sie gibt mir zwei Shilling, damit ich mir zum Geburtstag Tee und ein Rosinenbrötchen leisten kann. Sie steigt in den Bus, um zurück in die O’Connell Street zu fahren, zu fett und faul zum Gehen. Fett und faul, und ich bin nicht mal ihr Sohn, und trotzdem kauft sie mir die Sachen für meinen neuen Job.
    Das Paket mit den neuen Sachen unter dem Arm, gehe ich zum Arthur’s Quay und ich muß mich ans Ufer des Shannon stellen, mit dem Gesicht zum Fluß, damit nicht die ganze Welt am Tag, an dem er vierzehn wurde, die Tränen eines Mannes sieht.
     
     
    Am Montag morgen stehe ich früh auf, um mir das Gesicht zu waschen und die Haare mit Wasser und Spucke zu glätten. Der Abt sieht mich in meinen neuen Sachen. Jeeesus, sagt er, hast du heute Hochzeit oder was? und schläft wieder ein.
    Mrs. O’Connell, die dicke Frau, sagt, na aber, wir sind ja nach dem letzten Schrei der Mode eingekleidet, und die Dünne, Miss Barry sagt, hast du am Wochenende eine Bank überfallen? und groß ist das Gelächter von den Telegrammjungens auf der Bank an der Wand.
    Ich soll mich ans Ende der Bank setzen und
warten, bis ich mit Telegrammaustragen an der Reihe bin. Die Telegrammjungens mit Uniformen sind die Unbefristeten, die die Prüfung gemacht haben. Sie können immer bei der Post bleiben, wenn sie wollen, dann können sie die nächste Prüfung für Briefträger machen und dann die für Schalterbeamter, dann dürfen sie drinnen arbeiten und unten im Parterre am Schalter Briefmarken verkaufen und Geldanweisungen auszahlen. Das Postamt gibt unbefristeten Jungens große wasserdichte Capes für das schlechte Wetter, und sie kriegen jedes Jahr zwei Wochen Urlaub. Jeder sagt, das sind gute Jobs, krisenfest, mit Pensionsberechtigung und respektabel, und wenn man so einen Job kriegt, braucht man sich sein Leben lang nie wieder Sorgen zu machen, nie wieder.
    Befristete Telegrammjungens dürfen den Job nur machen, bis sie sechzehn sind. Es gibt keine Uniformen, keinen Urlaub, man kriegt weniger bezahlt, und wenn man einen Tag krankfeiert, kann man gefeuert werden. Keine Ausreden. Es gibt keine wasserdichten Capes. Bring deinen eigenen Regenmantel mit oder weiche den Regentropfen aus.
     
     
    Mrs. O’Connell ruft mich an ihren Schreibtisch, um mir einen schwarzen Gürtel und eine Umhängetasche zu geben. Sie sagt, es herrscht eine
große Fahrradknappheit, also werde ich meinen ersten Packen Telegramme zu Fuß austragen müssen. Ich soll zuerst zur am weitesten entfernten Adresse gehen und mich dann zum Postamt zurückarbeiten und nicht den ganzen Tag brauchen. Sie ist lange genug bei der Post, um zu wissen, wie lang man für sechs Telegramme braucht, auch zu Fuß. Ich soll nicht in Kneipen, bei Buchmachern oder auch nur zu

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