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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Büroangestellte nehmen die Telegramme ohne einen Blick oder ein Dankeschön entgegen. Es gibt Telegramme für die respektablen Menschen mit Dienstmädchen entlang der Ennis Road und der North Circular Road, wo keine Hoffnung auf ein Trinkgeld besteht. Dienstmädchen sind wie Büroangestellte, sie sehen einen nicht an, und sie sagen nicht danke. Es gibt Telegramme für die Häuser von Priestern und Nonnen, und die haben ebenfalls Dienstmädchen, obwohl sie sagen, daß Armut etwas Edles ist. Wenn man bei Priestern oder Nonnen auf ein Trinkgeld warten wollte, könnte man auf ihrer Schwelle verrecken. Es gibt Telegramme für Leute, die außerhalb wohnen, Bauern mit matschigen Höfen und Hunden, die einem die Beine abbeißen und fressen wollen. Es gibt Telegramme für reiche Leute in großen Häusern mit Pförtnerhaus und meilenweit Land, von Mauern umgeben. Der Pförtner winkt einen herein, und man muß über meilenlange Einfahrten radeln, an Rasenflächen, Blumenbeeten und Springbrunnen vorbei, um bis zum großen Haus zu kommen. Bei schönem Wetter spielen die Leute Krocket, das protestantische Spiel, oder sie schlendern herum und reden und lachen, alle mit geblümtem Kleid oder Blazer mit Wappen und goldenen Knöpfen, und man würde
nie merken, daß Krieg ist. Automobile von Bentley und Rolls Royce sind vor dem großen Portal geparkt, wo einem ein Dienstmädchen sagt, man soll nach hinten zum Dienstboteneingang, ist man wirklich so blöd, oder tut man nur so.
    Die Leute in den großen Häusern haben einen englischen Akzent und geben Telegrammjungens kein Trinkgeld.
    Die besten Trinkgeldgeber sind Witwen, protestantische Pastorenfrauen und die Armen im allgemeinen. Witwen wissen, wann die Geldanweisung von der englischen Regierung fällig ist, und sie warten am Fenster. Man muß aufpassen, wenn sie einen auf ein Täßchen Tee hereinbitten, denn einer der Befristeten, Scrawby Luby, sagte, eine alte Witwe von fünfunddreißig hatte ihn mal zum Tee reingebeten und hat versucht, ihm die Hose herunterzuziehen, und er mußte aus dem Haus rennen, obwohl er stark versucht war, und am Samstag danach mußte er zur Beichte. Er sagte, es war sehr unangenehm, als er aufs Rad hüpfte, und sein Ding steht raus, aber wenn man sehr in die Pedale tritt und an die Leiden der Jungfrau Maria denkt, wird man in Null Komma nix wieder weich.
    Protestantische Pastorenfrauen würden sich nie so aufführen wie Scrawby Lubys alte Witwe, es sei denn, sie sind selbst Witwen. Christy Wallace, welcher unbefristeter Telegrammjunge ist
und jeden Tag damit rechnet, zum Briefträger befördert zu werden, sagt, den Protestantinnen ist es egal, was sie machen, selbst wenn sie Pastorenfrauen sind. Sie sind sowieso verdammt, was also schadet es, wenn sie ein bißchen mit einem Telegrammjungen herumtollen. Alle Telegrammjungens mögen protestantische Pastorenfrauen. Auch wenn sie ein Dienstmädchen haben, kommen sie selbst an die Tür, sagen, einen Augenblick bitte, und geben einem Sixpence. Ich würde gern mit ihnen reden und sie fragen, was das für ein Gefühl ist, wenn man verdammt ist, aber dann sind sie vielleicht beleidigt und wollen die Sixpence wiederhaben.
    Die Iren, die in England arbeiten, schicken ihre telegrafischen Geldanweisungen am Freitagabend und über den ganzen Samstag verteilt, und dann kriegen wir die guten Trinkgelder. Sobald wir einen Packen zugestellt haben, sind wir mit dem nächsten unterwegs.
    Die schlimmsten Gassen sind in der Irishtown, die Gassen, die von der High Street oder der Mungret Street abgehen, schlimmer als Roden Lane oder O’Keeffe’s Lane oder eine der Gassen, wo ich gewohnt habe. Es gibt Gassen mit einem Kanal in der Mitte. Die Mütter stehen vor der Tür und schreien juhuuu! wenn sie ihre Eimer mit Schmutzwasser auskippen. Kinder bauen Papierschiffchen oder lassen Streichholzschachteln mit
kleinen Segeln auf dem fettigen Wasser schwimmen.
    Wenn man in eine Gasse fährt, rufen die Kinder, der Telegrammjunge kommt, der Telegrammjunge kommt. Sie laufen einem entgegen, und die Frauen warten vor der Tür. Wenn man einem kleinen Kind ein Telegramm für seine Mutter gibt, ist es der Held der Familie. Kleine Mädchen wissen, daß sie warten sollen, bis die Jungens eine Chance hatten, das Telegramm entgegenzunehmen, aber wenn sie keine Brüder haben, dürfen sie ran. Dann rufen die Frauen an der Tür einem zu, daß sie jetzt kein Geld haben, aber wenn du morgen wieder in unserer Gasse bist, klopf an die Tür, dann

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