Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Man sollte doch meinen, daß jemand, der noch nie auf den Kopf gefallen ist, das Brot findet, das jemand versteckt hat, der schon mal auf den Kopf gefallen ist. Dann wird mir klar, wenn das Brot nicht im Haus ist, muß er es in der Tasche des Mantels mitnehmen, den er sommers wie winters trägt. Sobald ich höre, wie er von der Küche zum Hinterhofklo trampelt, renne ich die Treppe hinunter, hole das Brot aus der Manteltasche, schneide eine dicke Scheibe ab, stopfe das Brot wieder zurück und Treppe hoch und rein ins Bett. Er kann nie ein Wort sagen, mich nie beschuldigen. Man müßte schon die allerschlimmste Sorte von Dieb sein, wenn man eine Scheibe Brot stiehlt, und niemand würde ihm jemals glauben, nicht mal Tante Aggie. Außerdem würde sie ihn ankläffen und sagen, wieso läufst du denn überhaupt mit einem Laib Brot in der Manteltasche herum? Da bewahrt man doch kein Brot auf.
Ich kaue das Brot ganz langsam. Alle fünfzehn Minuten einen Mundvoll, dann hält es länger vor, und wenn ich es mit Wasser herunterspüle, wird
das Brot in meinem Bauch aufquellen, und das verschafft mir dann das Gefühl der Sättigung. Ich sehe aus dem Hinterfenster, um sicherzugehen, daß die Abendsonne meine Klamotten trocknet. Auf anderen Hinterhöfen sind Wäscheleinen mit Wäsche, die lustig und bunt im Wind tanzt. Meine Sachen hängen an der Leine wie tote Hunde.
Die Sonne scheint, aber im Haus ist es kalt und feucht, und ich hätte gern etwas, was ich im Bett anhaben kann. Ich habe nichts anderes anzuziehen, und wenn ich etwas vom Abt anrühre, rennt er todsicher zu Tante Aggie. Alles, was ich im Kleiderschrank finde, ist Omas altes schwarzes Wollkleid. Man soll ja nicht das alte Kleid der Großmutter tragen, wenn sie schon tot ist und man ein Junge ist, aber das ist egal, wenn es einen warm hält und man im Bett unter den Decken ist, wo es niemand je erfährt. Das Kleid riecht nach alter toter Großmutter, und ich habe Angst, daß sie aus dem Grabe aufersteht und mich vor der ganzen Familie und sämtlichen Anwesenden verflucht. Ich bete zum hl. Franziskus, bitte ihn, er soll sie im Grab lassen, wo sie hingehört, verspreche ihm eine Kerze, sobald ich meinen Job angetreten habe, erinnere ihn daran, daß das Gewand, das er immer trug, auch nicht allzu weit von einem Kleid entfernt war, und niemand hat ihn deshalb gequält, und ich schlafe ein, und im Traum erscheint mir sein Gesicht.
Das Schlimmste auf der Welt ist, wenn man im Bett der toten Großmutter schläft und ihr schwarzes Kleid anhat, und man hat einen Onkel, genannt der Abt, welcher nach einer Nacht des Pintstrinkens vor South’s Kneipe auf den Arsch fällt, und Menschen, die nicht wissen, wie man sich um seinen eigenen Kram kümmert, rennen zu Tante Aggies Haus, um ihr das zu sagen, und sie holt Onkel Pa Keating, damit er ihr hilft, den Abt nach Hause und die Treppe hoch zu tragen, dahin, wo man schläft, und kläfft einen an, was machst du in diesem Haus, was machst du in diesem Bett? Steh auf und setz einen Kessel mit Teewasser für deinen armen Onkel Pat auf, welcher gestürzt ist, und wenn man sich nicht rührt, zieht sie einem die Decken weg und fällt hintenüber wie jemand, der ein Gespenst sieht, und schreit, Heilige Muttergottes, was treibst du da im Kleid meiner toten Mutter?
Das ist das Allerschlimmste, denn es ist schwer zu erklären, daß man sich darauf vorbereitet, den großen Job seines Lebens anzutreten, daß man seine Sachen gewaschen hat und daß es so kalt war, daß man das einzige anziehen mußte, was in dem Haus zu finden war, und es ist noch schwerer, mit Tante Aggie zu reden, wenn der Abt im Bett stöhnt, mich brennen die Füße wie Feuer, kippt mich Wasser auf die Füße, und Onkel Pa Keating hält sich den Mund zu und fällt vor Lachen
gegen die Wand und sagt einem, man sieht hinreißend aus, und Schwarz steht einem echt gut, und den Saum müßte man vielleicht links ein Ideechen auslassen. Man weiß nicht, was man machen soll, wenn Tante Aggie einem sagt, steh aus diesem Bett auf und setz unten Teewasser für deinen armen Onkel auf. Soll man nun das Kleid ausziehen und sich eine Bettdecke umlegen, oder soll man so gehen, wie man ist? In der einen Minute kreischt sie, was treibst du im Kleid meiner armen Mutter? und in der nächsten Minute sagt sie einem, man soll den verdammten Kessel aufsetzen. Ich sage ihr, ich habe meine Sachen für den großen Job gewaschen.
Was für einen großen Job?
Telegrammjunge beim Postamt.
Sie sagt,
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