Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
befohlen,
er soll töten, und der Shannon hat getötet. Könntest Du allmählich mal Gnade walten lassen? Könntest Du uns die Kinder lassen, die wir noch haben? Mehr verlangen wir gar nicht. Amen.
Er hilft Malachy und mir beim Kopf- und Füßewaschen, damit wir für Eugenes Beerdigung sauber sind. Wir müssen ganz leise sein, sogar als er uns die Ohren mit einer Ecke des Handtuchs ausputzt, das wir aus Amerika mitgebracht haben. Wir müssen leise sein, weil Eugene die Augen zu hat, und wir wollen ihn doch nicht wekken, damit er dann wieder aus dem Fenster kuckt und Oliver sucht.
Oma kommt und sagt zu Mam, sie muß aufstehen. Es sind Kinder gestorben, sagt sie, aber es sind auch Kinder am Leben, und die brauchen ihre Mutter. Sie bringt Mam etwas Tee in einer großen Tasse, damit sie die Pillen hinunterspülen kann, die den Schmerz dämpfen sollen. Dad sagt Oma, es ist Donnerstag, und er muß wegen des Stempelgelds aufs Arbeitsamt und dann zum Bestatter, um den Leichenwagen und den Sarg zu holen. Oma sagt ihm, er soll mich mitnehmen, aber er sagt, für mich ist es besser, wenn ich dableibe und für meinen kleinen Bruder bete, der da im Bett liegt. Oma sagt, sag mal, spinnst du? Für ein kleines Kind beten, das noch keine zwei Jahre alt ist und bereits mit seinem Bruder im Himmel spielt? Du wirst jetzt deinen Sohn mitnehmen,
und er wird dich daran erinnern, daß heute nicht der Tag für die Kneipen ist. Sie sieht ihn an, und er sieht sie an, und dann setzt er sich seine Mütze auf.
Auf dem Arbeitsamt stellen wir uns ans Ende der Schlange, bis ein Mann hinter dem Schalter hervorkommt und Dad sagt, wie leid es ihm tut, daß er soviel Kummer hat, und er soll sich doch an so einem Tag des Jammers ganz vorne anstellen. Männer tippen sich an die Mütze und sagen, tut ihnen leid, der ganze Kummer, und manche tätscheln mir den Kopf und geben mir Pennies, vierundzwanzig einzelne Pennies, zwei Shilling. Dad sagt mir, jetzt bin ich reich, und ich soll mir dafür was Süßes kaufen, während er noch rasch wohin geht. Ich weiß, daß, wohin er gehen will, eine Kneipe ist, und ich weiß, daß er das schwarze Zeug will, welches man eine Pint nennt, aber ich sage nichts, denn ich möchte in den Laden nebenan gehen, um mir ein Karamelbonbon zu holen. Ich kaue mein Karamelbonbon, bis es schmilzt und mein Mund ganz süß und klebrig ist. Dad ist noch in der Kneipe, und ich frage mich, ob ich mir noch ein zweites Karamelbonbon besorge, solang er dort mit seiner Pint beschäftigt ist. Ich will der Frau im Laden gerade das Geld geben, als mir auf die Hand gehauen wird, und da ist Tante Aggie und tobt. Ist es das, was du am Tag der Beerdigung deines Bruders
tust? Schlägst dir den Magen mit Süßigkeiten voll. Und wo ist dein Vater?
Er … Er ist … in der Kneipe.
Natürlich ist er in der Kneipe. Du stopfst dich hier mit Süßigkeiten voll, und er sitzt da drüben und läßt sich volllaufen, bis er nur noch torkeln kann, und das beides an dem Tag, an dem dein armer kleiner Bruder auf den Friedhof kommt. Ganz der Vater, sagt sie zu der Frau im Laden. Die gleiche komische Art, das gleiche dumme Geschwätz.
Sie sagt mir, ich soll in die Kneipe gehen und meinem Vater sagen, er soll aufhören zu saufen und lieber den Sarg und den Wagen holen. Sie wird keinen Fuß über die Schwelle dieser Kneipe setzen, denn der Suff ist der Fluch dieses armen gottverlassenen Landes.
Dad sitzt hinten in der Kneipe mit einem Mann zusammen, der ein schmutziges Gesicht hat und Haare, die ihm aus der Nase wachsen. Sie reden nicht, sondern sie starren vor sich hin, und ihre schwarzen Pints stehen auf einem kleinen weißen Sarg auf dem Stuhl zwischen ihnen. Ich weiß, daß das Eugenes Sarg ist, weil Oliver genau so einen hatte, und ich möchte weinen, als ich die schwarzen Pints auf dem Sarg sehe. Jetzt tut es mir leid, daß ich das Karamelbonbon gegessen habe, und ich würde es gern wieder aus meinem Bauch herausholen und der Frau im Laden zurückgeben,
weil es nicht richtig ist, Karamelbonbons zu essen, wenn Eugene tot im Bett liegt und ich Angst vor den beiden schwarzen Pints auf seinem weißen Sarg habe. Der Mann neben Dad sagt, nein, Mister, man kann heutzutage einen Kindersarg nicht mehr auf dem Wagen lassen. Einmal hab ich’s gemacht und bin auf eine Pint gegangen, und sie haben mir den kleinen Sarg aus dem verdammten Leichenwagen rausgeklaut. Können Sie sich das vorstellen? Er war leer, Gott sei Dank, aber so was gibt’s. Schlimme Zeiten sind
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