Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
das, schlimme Zeiten. Der Mann neben Dad hebt seine Pint und nimmt einen langen Schluck, und als er sein Glas wieder abstellt, macht das ein hohles Geräusch im Sarg. Dad nickt mir zu. In einer Minute gehen wir mein Sohn, aber als er nach dem langen Schluck sein Glas auf den Sarg stellen will, schiebe ich das Glas beiseite.
Der gehört Eugene. Ich werde Mam sagen, daß du dein Glas auf Eugenes Sarg abgestellt hast.
Na na, mein Sohn. Na na, mein Sohn.
Das, das ist Eugenes Sarg.
Der andere Mann sagt, nehmen wir jetzt noch eine Pint, Mister?
Dad sagt zu mir, warte nur noch schnell ein paar Minuten draußen, Francis.
Nein.
Sei kein unartiger Junge.
Nein.
Der andere Mann sagt, bei Gott, wenn das mein Sohn wäre, würde ich ihm in den Arsch treten, daß er bis in die Grafschaft Kerry fliegt. Er hat nicht das Recht, in diesem Ton an einem Tag der Trauer mit seinem Vater zu sprechen. Wenn ein Mann am Tage einer Beerdigung keine Pint trinken darf, was soll dann überhaupt das Leben.
Dad sagt, schon gut, wir gehen.
Sie trinken ihre Pints aus und wischen die nassen braunen Flecken auf dem Sarg mit dem Ärmel ab. Der Mann klettert auf den Kutschbock vom Leichenwagen, und Dad und ich fahren innen mit.
Zu Hause ist das Zimmer voll mit Großen: Mam, Oma, Tante Aggie, ihr Mann Pa Keating, Onkel Pat Sheehan, Onkel Tom Sheehan, der Mams ältester Bruder ist und der sich immer von uns ferngehalten hat, weil er Menschen aus dem Norden von Irland haßt. Onkel Tom hat seine Frau Jane dabei. Sie ist aus Galway und die Leute sagen, sie sieht aus wie eine Spanierin, und deswegen spricht keiner aus der Familie mit ihr. Der Mann nimmt Dad den Sarg ab, und als er ihn ins Zimmer bringt, stöhnt Mam, O Gott, nein, O Gott, nein. Der Mann sagt zu Oma, er ist bald wieder zurück, und dann wird er uns zum Friedhof bringen. Oma sagt ihm, er soll lieber nicht in betrunkenem Zustand zurückkommen, denn dieses Kind, das jetzt seine letzte Fahrt antritt, hat
schwer gelitten und verdient ein bißchen Würde, und einen Kutscher, der betrunken ist und jederzeit vom Bock fallen kann, lasse ich mir nicht bieten.
Der Mann sagt, Missis, ich hab schon Dutzende von Kindern zum Friedhof gekarrt und bin noch nie vom Bock gefallen.
Die Männer trinken wieder Stout aus der Flasche, und die Frauen nippen an Marmeladegläsern mit Sherry. Onkel Pat Sheehan sagt zu allen, mein Bier, mein Bier, und Oma sagt, ist ja schon gut, Pat, niemand trinkt dir was weg. Dann sagt er, er will Die Straße nach Rasheen singen, bis Pa Keating sagt, nein, Pat, am Tag der Beerdigung darf man nicht singen. Am Abend vorher kann man singen. Aber Onkel Pat sagt immer wieder, das ist mein Bier, und ich will Die Straße nach Rasheen singen, und jeder weiß, daß er so spricht, weil er auf den Kopf gefallen ist.
Er fängt an zu singen, hört aber gleich wieder auf, als Oma den Deckel vom Sarg hebt und Mam schluchzt, o Jesus, o Jesus, hört das denn nie auf. Wird mir ein Kind übrigbleiben?
Mam sitzt auf einem Stuhl am Kopfende des Bettes. Sie streichelt Eugenes Haar und Gesicht und seine Hände. Sie sagt ihm, von allen Kindern der Welt war er das süßeste und das zarteste und das liebevollste. Sie sagt ihm, es ist schrecklich, ihn zu verlieren, aber ist er jetzt nicht im Himmel,
bei seinem Bruder und seiner Schwester, und ist uns das nicht ein Trost? Zu wissen, daß Oliver nicht mehr ohne seinen Zwillingsbruder auskommen muß. Trotzdem legt sie ihren Kopf ganz nah an Eugene dran und weint so heftig, daß alle Frauen im Zimmer mitweinen. Sie weint, bis Pa Keating zu ihr geht und ihr sagt, wir müssen los, bevor es dunkel wird, und daß man sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht auf Friedhöfen aufhalten kann.
Oma flüstert Tante Aggie zu, wer wird das Kind in den Sarg legen? und Tante Aggie flüstert, ich nicht. Das ist Aufgabe der Mutter. Onkel Pat hört sie. Ich werde das Kind in den Sarg legen, sagt er. Er hinkt zum Bett und legt Mam die Arme um die Schultern.
Sie sieht zu ihm auf, und ihr Gesicht ist pitschnaß.
Er sagt, ich werde das Kind in den Sarg legen, Angela.
Ach, Pat, sagt sie. Pat.
Ich kann das, sagt er. Er ist zwar nur ein kleines Kind, und ich hab noch nie ein kleines Kind hochgehoben in meinem Leben. Ich hab noch nie ein kleines Kind im Arm gehabt. Aber ich laß ihn nicht fallen, Angela. Bestimmt nicht. Schwör ich bei Gott, ich laß ihn nicht fallen.
Ich weiß ja, daß du ihn nicht fallen läßt, Pat. Das weiß ich doch.
Ich werde ihn hochheben, und ich
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