Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Olivers Heimgang wachten wir an einem ekligen Novembermorgen auf, und da lag Eugene kalt neben uns im Bett. Dr. Troy kam und sagte, dieses Kind ist an Lungenentzündung gestorben, und warum war es nicht schon längst im Krankenhaus? Dad sagte, er hat es nicht gewußt, und Mam sagte, sie hat es nicht gewußt, und Dr. Troy sagte, genau daran sterben Kinder. Daran, daß die Menschen nichts wissen. Er sagte, beim geringsten Anzeichen von Husten oder Rasseln im Hals sollten Malachy oder ich sofort zu ihm gebracht werden, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Wir sollten zu jeder Zeit auf trockne Füße und Kleidung achten, denn es scheine in der Familie zu liegen, daß wir etwas schwach auf der Brust seien. Er sagte Mam, es tut ihm sehr leid, daß wir soviel Kummer hatten, und er gibt ihr ein Rezept für die Schmerzen, die in den nächsten Tagen noch auf sie zukommen
werden. Er sagte, Gott verlangt ein bißchen viel, verdammt, zuviel.
Oma kam uns mit Tante Aggie in unserem Zimmer besuchen. Sie wusch Eugene, und Tante Aggie ging in ein Geschäft, um ein kleines weißes Hemd und einen Rosenkranz zu besorgen. Sie zogen ihm das weiße Hemdchen an und legten ihn auf das Bett beim Fenster, aus dem er immer nach Oliver Ausschau gehalten hat. Sie legten ihm seine Hände auf die Brust, eine Hand auf die andere, mit der kleinen weißen Rosenkranzkette aneinandergefesselt. Oma strich ihm das Haar aus Augen und Stirn, und sie sagte, hat er nicht wunderbar weiches seidiges Haar? Mam ging zum Bett und legte ihm eine Decke über die Beine, um ihn warm zu halten. Oma und Tante Aggie sahen sich an und sagten nichts. Dad stand am Fußende, schlug sich mit den Fäusten gegen die Oberschenkel, sprach mit Eugene und sagte ihm, och, es war der Shannon, der dir was zuleide getan hat, die Feuchtigkeit von diesem Fluß, die gekommen ist und dich und Oliver geholt hat. Oma sagte, hörst du wohl damit auf? Du machst das ganze Haus nervös. Sie nahm Dr. Troys Rezept und sagte zu mir, lauf hinüber zu O’Connor, dem Apotheker, wegen der Pillen, und dank der Freundlichkeit von Dr. Troy kosten sie nichts, soll ich sagen. Dad sagte, er kommt mit, wir gehen in die Jesuitenkirche und sprechen ein Gebet für
Margaret und Oliver und Eugene, alle froh im Himmel versammelt. Der Apotheker gab uns die Pillen, wir gingen bei der Kirche vorbei, um die Gebete zu sprechen, und als wir ins Zimmer zurückkamen, gab Oma Dad Geld, um ein paar Flaschen Stout aus der Kneipe zu holen. Mam sagte, nein, nein, aber Oma sagte, er hat die Pillen nicht, um seinen Schmerz zu lindern, Gott helfe uns, und eine Flasche Stout wird ein kleiner, schwacher Trost sein. Dann sagte sie ihm, er muß morgen zum Bestatter, um den Sarg mit dem Pferdewagen abzuholen. Mir sagte sie, geh mit deinem Vater und paß auf, daß er nicht die ganze Nacht in den Kneipen bleibt und das ganze Geld vertrinkt. Dad sagte, och, Frankie sollte sich nicht in Kneipen aufhalten, und sie sagte, dann bleib eben nicht drin. Er setzte sich seine Mütze auf, und wir gingen in South’s Kneipe, und an der Tür sagte er mir, ich kann jetzt nach Hause gehen, er kommt nach einer Pint nach. Ich sagte nein, und er sagte, sei nicht ungehorsam. Geh nach Hause zu deiner armen Mutter. Ich sagte nein, und er sagte, ich bin ein unartiger Junge, und Gott ist das gar nicht recht. Ich sagte, ohne ihn gehe ich nicht nach Hause, und er sagte, och, wo soll das nur hinführen mit dieser Welt? In der Kneipe trank er eine schnelle Pint Porter, und dann gingen wir mit den Stoutflaschen nach Hause. Pa Keating war in unserem Zimmer, er hatte eine
kleine Flasche Whiskey und ein paar Flaschen Stout mitgebracht, und Onkel Pat Sheehan hatte sich zwei Flaschen Stout mitgebracht. Onkel Pat saß auf dem Fußboden, hielt seine Flaschen mit den Armen umklammert und sagte immer wieder, alles meins, alles meins, weil er Angst hatte, sie werden ihm wieder abgenommen. Menschen, die auf den Kopf gefallen sind, haben immer Angst, jemand nimmt ihnen ihr Stout weg. Oma sagte, schon gut, Pat, trink dein Stout selber. Tut dir ja keiner was. Sie und Tante Aggie saßen bei Eugene auf dem Bett. Pa Keating saß am Küchentisch, trank von seinem Stout und bot allen einen Schluck von seinem Whiskey an. Mam nahm ihre Pillen und saß mit Malachy auf dem Schoß beim Feuer. Sie sagte immer wieder, Malachy hat das gleiche Haar wie Eugene, und Tante Aggie sagte immer wieder, nein, hat er nicht, bis Oma ihr den Ellenbogen in die Brust rammte und sagte, sie soll den Mund
Weitere Kostenlose Bücher