Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
halten. Dad stand an der Wand zwischen dem Feuer und Eugenes Bett und trank sein Stout. Pa Keating erzählte Geschichten, und die Leute lachten, obwohl sie nicht lachen wollten oder nicht lachen durften in Gegenwart eines toten Kindes. Er sagte, als er mit der englischen Armee in Frankreich war, haben die Deutschen Gas herübergeschickt, wovon er so krank wurde, daß er ins Lazarett geschafft werden mußte. Im Lazarett haben sie ihn eine Weile
dabehalten, und dann haben sie ihn wieder in den Graben geschickt. Englische Soldaten haben sie nach Hause geschickt, aber bei irischen Soldaten hat es sie keinen Fiedlerfurz geschert, ob sie lebten oder starben. Statt zu sterben, hat Pa ein Riesenvermögen gescheffelt. Er sagte, er hat eins der großen Probleme des Grabenkriegs gelöst. Im Graben war es so naß und matschig, daß es ihnen schier unmöglich war, das Wasser für den Tee zu kochen. Er sagte sich, Jesusnochmal, da hab ich dies ganze Gas im Organismus, und es ist eine üble Verschwendung, wenn man nichts damit macht. Also stopfte er sich ein Rohr in den Arsch, entfachte ein Zündholz und hatte in Sekundenschnelle eine feine Flamme, mit deren Hilfe man in jedem Kochgeschirr Wasser erhitzen konnte. Aus den Gräben ringsum kamen die Tommys angerannt, als sie davon erfuhren, und gaben ihm jeden gewünschten Betrag, wenn er sie Wasser kochen ließ. Er verdiente so viel Geld, daß er die Generäle dazu bestechen konnte, ihn aus der Armee zu entlassen, und daraufhin setzte er sich nach Paris ab, wo er es sich wohl sein ließ und mit Künstlern und Mannequins trank. Er hat es sich so wohl sein lassen, daß er sein ganzes Geld ausgab, und als er wieder nach Limerick kam, war der einzige Job, den er kriegen konnte, Kohlenschipper bei der Gasanstalt. Er sagte, er hat immer noch so viel Gas im Organismus, daß
er eine Kleinstadt ein Jahr lang mit Licht versorgen könnte. Tante Aggie schniefte und sagte, das ist keine passende Geschichte, die man in Gegenwart eines toten Kindes erzählt, und Oma sagte, besser so eine Geschichte, als mit langem Gesicht herumsitzen. Onkel Pat Sheehan, der mit seinem Stout auf dem Fußboden saß, sagte, er singt jetzt ein Lied. Nur zu, nur zu, sagte Pa Keating, und Onkel Pat sang Die Straße nach Rasheen. Er sagte immer nur, Rasheen, Rasheen, alles verziehn, und das Lied ergab gar keinen Sinn, weil sein Vater ihn vor langer Zeit hat auf den Kopf fallen lassen, und jedesmal, wenn er das Lied sang, hatte es einen anderen Text. Oma sagte, das war aber ein schönes Lied, und Pa Keating sagte, Caruso kann schon mal einpacken. Dad ging zu dem Bett in der Ecke, in dem er mit Mam schlief. Er setzte sich auf die Bettkante, stellte seine Flasche auf dem Fußboden ab, hielt sich die Hände vors Gesicht und weinte. Er sagte, Frank, Frank, komm her zu mir, und ich mußte zu ihm gehen, damit er mich genauso umarmen konnte, wie Mam Malachy umarmte. Oma sagte, wir gehen jetzt lieber und schlafen noch ein bißchen, bevor morgen die Beerdigung anfängt. Sie knieten sich alle vor dem Bett hin und sprachen ein Gebet und küßten Eugene auf die Stirn. Dad ließ mich vom Schoß runter, stand auf und nickte ihnen beim Hinausgehen zu. Als sie weg waren, setzte er jede einzelne
Stoutflasche an und leerte die allerletzte Neige in seinen Mund. Er steckte den Zeigefinger in die Whiskeyflasche und leckte ihn ab. Er blies die Flamme in der Paraffinöllampe aus, und er sagte, es ist Zeit für Malachy und mich, ins Bett zu gehen. Wir müßten bei ihm und Mam schlafen, weil Eugene das Bett selber braucht. Jetzt war es dunkel im Zimmer, und nur noch ein Scheibchen Licht fiel von der Straße auf Eugenes schönes seidenweiches Haar.
Am Morgen macht Dad Feuer an, brüht Tee auf, toastet das Brot im Feuer. Er bringt Mam Toast mit Tee, aber sie winkt ab und dreht sich zur Wand. Er führt Malachy und mich zu Eugene, damit wir niederknien und ein Gebet sprechen. Er sagt, die Gebete von einem Kind wie uns sind im Himmel mehr wert als die Gebete von zehn Kardinälen und vierzig Bischöfen. Er zeigt uns, wie man sich bekreuzigt, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen, und er sagt, lieber Gott, das willst Du doch, oder? Du willst meinen Sohn, Eugene. Du hast seinen Bruder, Oliver, genommen, Du hast seine Schwester, Margaret, genommen. Ich darf das nicht in Frage stellen, stimmt’s? Lieber Gott im Himmel, ich weiß nicht, warum Kinder sterben müssen, aber Dein Wille geschehe. Du hast dem Fluß
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