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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten
Autoren: Stanislaw Lem
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beim Dehnen ab und erwärmt sich beim Zusammenziehen.
    Am meisten interessierte mich gerade der Gummi. Im stillen dachte ich, daß es mir gelingen würde, auf theoretischem Wege das zu erreichen, was meinen Kollegen auf dem experimentellen nicht geglückt war. Anfangs machte ich, um mich etwas in der Technik der Versuche zu üben, so wie sie vordem, Röntgenaufnahmen kleiner Gummiwürfel unter den verschiedensten Bedingungen. Ich dehnte sie aus, dann unterwarf ich sie hohem Druck, dann wieder setzte ich ihnen mit Säuren zu, sorgfältig notierte ich die Ergebnisse und träumte ganze Abende von meiner Theorie.
    Ein nicht ausgedehntes Stück Gummi ergibt auf einer Röntgenaufnahme das gleiche Bild wie eine Flüssigkeit: ein Chaos zusammengeballter Teilchen. Dehnt man jedoch den Gummi, so wird seine Struktur der eines Kristalls ähnlich. Das erklärt sich daraus, daß die langen, verwickelten Atomketten sich unter dem Einfluß der Dehnung spannen und ausrichten. Ich röstete also Gummistückchen, preßte sie, ließ sie abkühlen und trocknete und röstete immer wieder neue, bis eines Abends mein Vorrat erschöpft war. Der Laborant sagte mir, daß oben in der Rumpelkammer noch einige Kolben mit Proben von diesem alten Siliziumgummi seien. Ich machte nur eine abwehrende Handbewegung. Dennoch fand ich am nächsten Morgen auf meinem Arbeitstisch fünfzehn verstaubte Glaskolben vor. Der Laborant hatte sie, um mir gefällig zu sein, von oben heruntergeholt.
    In all diesen Kolben war eigentlich kein Gummi, sondern etwas wie eine klebrige schwarze Schmiere, die ich lieber nicht berührte. Dafür befand sich im letzten Kolben ein vertrauenerweckend aussehendes Stückchen einer dunkelgrauen Masse. Ich legte es in den Apparat, erhitzte es, machte eine Aufnahme und ging nach Hause. Zwei Tage später konnte ich die Aufnahme abholen. Ich erwartete das gleiche Ergebnis wie bisher, den restlosen Zerfall der Atomketten zu einem völlig amorphen Brei. Statt dessen aber erblickte ich ein ideales Kristallgitter.
    Ich traute meinen Augen nicht. Der Gummi war doch einer Temperatur von ungefähr achthundert Grad und einem Druck von tausend Atmosphären ausgesetzt gewesen, hätte sich also in Kleister auflösen müssen. Aber keine Spur davon. Ich öffnete den Apparat, was ich tags zuvor wegen der erhitzten Kammer nicht hatte tun können, und fand dort das frischeste, elastischste und kernigste Gummistück vor, das ich jemals gesehen hatte. Ich rief den Laboranten und fragte ihn, ob er etwas in den Apparat gelegt habe. Er verneinte es, er sei überhaupt nicht in der Nähe gewesen. Ich war noch immer im Zweifel und setzte das wunderbare Gummistückchen erneut hohen Temperaturen und hohem Druck aus. Diesmal wartete ich ab, bis die Kammer ausgekühlt war. Um acht Uhr nahm ich den Gummi heraus. Er war noch heiß, aber so elastisch, als käme er nicht aus dem Ofen, sondern aus der Schublade. Für alle Fälle machte ich noch eine chemische Analyse. Es war Siliziumgummi.
    Trotz der späten Stunde packte ich die Probe, die die Größe einer Streichholzschachtel hatte, und sämtliche Röntgenaufnahmen zusammen und lief zum Professor, der in der Nähe des Laboratoriums wohnte. Anfangs wollte er es nicht glauben; aber als ich am nächsten Tage vor seinen Augen sämtliche Experimente wiederholte, mußte er sich geschlagen geben: Wir hatten eine authentische Probe von Siliziumgummi vor uns, und zwar mit Eigenschaften, die in geradezu idealer Weise den theoretischen Vorhersagen entsprachen.
    Der große Wunsch der Flugzeugkonstrukteure schien erfüllt. Indessen nützte uns jenes Probestück herzlich wenig. Das Geheimnis der organischen Chemie besteht bekanntlich darin, die Atome zu der Verbindung zu zwingen, die wir brauchen. In diesem Stückchen Gummi, das wir besaßen, war eine solche Erscheinung vor sich gegangen; wir wußten nur nicht, wie es geschehen war. Mit anderen Worten, uns fehlte das Produktionsrezept, und wir hatten nicht die geringste Ahnung, wie man dazu gelangen könnte. Selbstverständlich beriefen wir sofort Jaensch, Hoeller und Braun nach Hamburg, die zu der Zeit im Berliner Institut für flüssige Brennstoffe arbeiteten.
    Das Telegramm verfaßte ich selbst, und zwar in einer Form, daß alle drei noch in der gleichen Nacht mit dem Flugzeug ankamenund mich am frühen Morgen aus dem Schlaf trommelten. Nachdem sie mich eine Weile mit Ausrufen und Fragen bestürmt hatten, stellte sich heraus, daß sie nicht mehr wußten als ich selbst und mein
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