Die Astronauten
aufhalten. Ich band das Seil um den Schlafsack und machte mich erneut an den Aufstieg zum Grat. Alle paar Meter blieb ich stehen, schlang das Seil um den Eispickel und zog den Schlafsack vorsichtig herauf. Es war schon dunkel, als ich den Grat erreichte. Ich schlüpfte in den Schlafsack und verbrachte so die ganze Nacht, Seite an Seite mit Erik. Nur die ungewöhnlich warme Luft, die schon den Monsun ankündigte, rettete uns vor dem Erfrieren.
Kaum zeichneten sich die Umrisse der Berge in der frühen Dämmerung ab, da erhob ich mich und nahm ihn wieder auf den Rücken. Ich wollte weitergehen, konnte aber auf einmal dem Gedanken nicht widerstehen, daß er tot sei. Ich näherteden Eispickel seinem Mund. Das Metall bedeckte sich mit einem dünnen Hauch. Ich machte mich auf den Weg. Die Schutzbrille hatte ich bei dem Sturz verloren. Gegen Mittag waren meine Augenlider entzündet. Zeitweise wußte ich nicht mehr, was um mich her geschah, und setzte nur noch mechanisch einen Fuß vor den anderen. Manchmal weckte mich sein Atem, der mir den Nacken wärmte, aus meiner Erstarrung, manchmal gab ich selbst einen heiseren Laut, ein Stöhnen von mir, das mich für eine Weile wieder zur Besinnung brachte.
Einige Male glaubte ich, nicht mehr weiterzukönnen. Dann mußte ich mir zureden: Zehn Schritte ... und noch zehn Schritte, und so kam ich langsam weiter. Einmal, als ich einer niedrigen Gesteinswelle ausweichen wollte, stolperte ich und fiel in den Schnee. Ich blieb liegen. Eine angenehme Schläfrigkeit überkam mich. Und ich hörte eine Stimme ganz nahe an meinem Ohr: Er lebt nicht mehr. – Ich richtete mich auf und begann heimlich, wie ein Dieb, das Seil zu lösen, mit dem ich ihn an mich festgebunden hatte. Da fühlte ich sein Herz. Es schlug. Ich taumelte hoch und ging weiter. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Ich aß, glaube ich, Schnee; denn es brannte mir wie ein eisiges Feuer in der Kehle.
Die Gefährten, die im elften Lager unsere Rückkehr abwarteten, gingen uns, obwohl sie selbst krank waren, um die Mittagszeit entgegen. Nach zwei Stunden bemerkten sie auf dem höchsten Punkt des Grates einen dunklen Fleck und nahmen an, daß nur einer von uns zurückkehre. Sie waren bereits auf Rufnähe herangekommen, als sie ihren Irrtum erkannten. Ich sollte stehenbleiben und auf sie warten. Sie gaben mir Ratschläge für den Abstieg. Ich hörte nichts, ich wußte nicht, wo ich war. Zehn Schritte ... und noch zehn Schritte ... Auf halbem Wege erreichten sie mich und nahmen mir Erik ab. Als hätte mich nur noch die Last aufrecht gehalten, stürzte ich, mit dem Gesicht vornüber, in den Schnee. Ich erkannte niemanden mehr. In eine Zeltbahn gehüllt, trugen sie Erik hinunter ins Lager. Auch mich mußten sie hinuntertragen.«
Lange Zeit herrschte tiefes Schweigen. Ich sah keinen der Gefährten an, ich starrte auf den schwarzen Leuchtschirm, als spräche ich in den unendlichen Raum, in dem das Ameisengewimmel der Sterne flimmerte.
»Als ich erwachte, schien die Sonne. Ich wollte den Fuß bewegen,es ging nicht; er lag in Gips. Ich spürte eine weiche Steppdecke unter den Fingern. Durch das Fenster war ein Himmel voll weißer Monsunwolken zu sehen. Jemand trat ein und blieb, überrascht, daß ich die Augen offen hatte, in der Tür stehen. Ich strich über die Steppdecke, und als sie nicht verschwand, da weinte ich.«
Ich stockte.
»Es war im ersten Lager, in Gangtok, sieben Tage nach dem Vorfall. Ich hatte den Knöchel gebrochen; wie und wobei weiß ich heute noch nicht. Außerdem hatte ich mir eine Herzerweiterung zugezogen. Die linke Herzkammer hatte sich fast bis unter die Achselhöhle verschoben. Ich war schwach, so schwach, daß ich kaum sprechen konnte.«
Wieder herrschte langes Schweigen in der Kabine. Es war, als wäre meine Erzählung schon zu Ende. Dann hob Arsenjew den Kopf und schaute mir in die Augen. »Er kam um, nicht wahr?«
»Ja. Er starb am anderen Tag. Es war alles ... umsonst.«
»Das ist nicht wahr!« rief Arsenjew heftig, geradezu drohend. »So darf niemand reden ... auch Sie nicht!«
»Wollen Sie damit sagen, es sei eine Heldentat gewesen?« fragte ich gereizt. »Die Expeditionsgefährten gaben mir mehr als einmal zu verstehen, daß ihre Achtung seitdem noch größer geworden sei ... und ich konnte mich doch nicht darüber freuen. Denn ich habe ihn gehaßt. Ja: gehaßt! Ihr könnt es alle wissen. Ich habe geflucht und gebetet, daß er sterben möge, immerzu.«
»Aber Sie sind weitergegangen!«
Ich
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