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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Untertasse; denn der Tee, den meine Mutter brühte, war sehr heiß und stark ... Er schlürfte ihn bedächtig und sprach kein Wort dabei. Ich ließ ihn nicht eine Sekunde aus den Augen, ich beobachtete ihn wie – womit soll ich es vergleichen, vielleicht so: wie ein Astronom eine Sonnenfinsternis beobachtet, die sich nur alle tausend Jahre ereignet, und bemühte mich, sein Geheimnis zu ergründen. Er war ein ruhiger, ziemlich behäbiger Mann mittleren Alters, er bewegte sich ganz normal, er saß genauso wie alle anderen Leute, dankte, wenn ihm die Schüssel gereicht wurde, aber das war ja alles nicht das Wirkliche an ihm. Wirklichkeit war sein vielstündiger Flug um die Welt, die Einsamkeit in der Kabine des Raketenflugzeugs, die Wolken in der Tiefe und hoch über ihm die Sterne. Es war mir damals, als könnte er jedenAugenblick aus unserer Mitte auf und davon fliegen, verschwinden ..., denn er war für mich ein Gast aus einer anderen Welt, und das, was ich an ihm zu bemerken vermochte ..., daß er lächelte und einen Goldzahn hatte, das war eben unwesentlich, unwirklich, und das, was wirklich war, konnte man nicht wahrnehmen. –
    Ich wiederhole Ihnen, so gut ich es kann, die Gedanken eines sechsjährigen Jungen. Und die Wissenschaft – um auf unser Gespräch zurückzukommen – ist meiner Meinung nach ein Beruf, der sich von allen anderen grundsätzlich unterscheidet. Sie sind ständig mit ihm verbunden, und wenn Sie mit einem von uns zusammen sind, solchen Uneingeweihten wie ich, dann ist es, als hätten Sie nur für eine Weile Ihre Welt verlassen. Ich weiß aber, daß Sie jeden Augenblick dorthin zurückkehren können. Sie haben sie immer, diese Ihre Welt, während ich ...«
    »Während Sie Ihre Welt auf der Erde zurückgelassen haben«, unterbrach mich Arsenjew. »Nicht wahr, das wollten Sie doch sagen?« Er packte mich bei den Schultern und schüttelte mich heftig. Aber ich empfand es wie eine Erleichterung.
    »Nach Ihrer Meinung setzt sich also jeder Gelehrte aus zwei Teilen zusammen: dem sichtbaren, der ißt, schläft und mit den ›Uneingeweihten‹ spricht, und dem wichtigeren, unsichtbaren, der in der Welt der Wissenschaft lebt. – Unsinn! Unsinn, sage ich! Die Welt eines jeden Menschen ist dort, wo er lebt und arbeitet. Ihre Welt und auch die meine ist augenblicklich hier, dreißig Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Freilich, die Wissenschaft ist mein Beruf. Ich habe sie liebgewonnen, mehr noch: sie ist meine Leidenschaft. Es stimmt, daß ich manchmal von mathematischen Formeln träume –; aber weshalb sollten Sie nicht ebensogut von Steuerknüppel und Höhenmesser träumen dürfen? Wir haben zwar verschiedene Berufe, jedoch in der gleichen Welt. Ich glaube, daß wir zuviel von außergewöhnlichen Leistungen gesprochen haben und zuwenig von den Menschen, die sie vollbringen. Deshalb werde ich das Programm für heute abend ändern – zu Ihren Gunsten und auch zu unseren.«
    Am Nachmittag ging ich im Korridor spazieren. Um vier Uhr würde ich Soltyk ablösen und den Navigationsdienst übernehmen. Bis dahin hatte ich Zeit. Ich kam zu der Feststellung,daß sich ein interplanetarer Flug von einem gewöhnlichen vor allem dadurch unterscheidet, daß man seinen Verlauf kaum gewahr wird. Das einzige, was davon zeugt, ist die komplizierte Kurve, die der Expeditionsleiter jeden Abend in die Karten des Weltraumes einzeichnet. Es fehlt an wechselnden Bildern; denn von einer Bewegung der Sterne ist bei diesen unermeßlichen Entfernungen nichts zu bemerken, es geschieht eigentlich gar nichts. Kein Wunder, daß es Stunden gibt, in denen man sich schließlich langweilt ..., und da nützt es wenig, wenn ich mir klarmache, daß ich ein Reisender zwischen den Sternen bin.
    Ich blickte auf die Uhr. Es war gleich vier. Ich kehrte um und schlenderte zur Zentrale. Mich trennten vielleicht noch fünf Schritte von der Tür, als ich wie von einer unsichtbaren Faust zu Boden geschmettert wurde. Ich überschlug mich und flog den Korridor zurück. Ein Zusammenstoß, durchzuckte es mich. Ich vesuchte aufzustehen, es ging nicht. Ich vernahm ein scharfes, vibrierendes Pfeifen. Zuerst glaubte ich, es sei Ohrensausen; aber nein, die Motoren arbeiteten! Ehe ich den Satz zu Ende denken konnte, erfolgte eine zweite heftige Erschütterung, von der entgegengesetzten Richtung her, und warf mich kopfüber gegen die Tür der Zentrale, wo ich abprallte wie ein Ball; denn ein neuer Stoß schleuderte mich wieder nach hinten. Und jedesmal

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